Page 127 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Ueber die Helligkeitsvariationen der Farben. 115
gültig, die Netzhaut aber ist ja auch nicht nur eine photographische
Platte; sie ist jedenfalls eine lichtempfindliche Schicht mit Stoff-
wechsel. Deshalb wii-d auch die genaue Bedingung dafür, dass
zwei Farben gleich große photochemische Wirkungen in der Netzhaut
hervorrufen, mehr complicirt (Gleich. 3); der Factor [a— blogR) be-
deutet eben hier, wie ich schon früher dargethan habe i), den Einfluss
des Stoffwechsels auf den Process. Der Umstand aber, dass die
Processe in der Netzhaut compHcirter sind als in einer gewöhnhchen
photographischen Platte, scheint die Bedeutung der Steigungscoeffi-
cienten nicht beeinflussen zu können. Unser Resultat wird also:
Durch die relative Größe der Steigungscoefficienten der
Farben kann die Sensibilität der Netzhaut für die betreffen-
den Farbenstrahlen gemessen werden. Die Helligkeits-
variationen der Farben, die hauptsächlich durch die ver-
schiedene Größe der Steigungscoefficienten bedingt sind,
werden somit einfach eine Folge davon, dass die Netzhaut
verschiedene Sensibilität besitzt für Licht verschiedener
Wellenlänge.
Schließlich nur noch eine farbentheoretische Bemerkung. Unsere
Kenntnisse der verwickelten physiologisch-optischen Verhältnisse sind
keineswegs so weit fortgeschritten, dass eine vollständig zutreffende
Farbentheorie im Augenblick aufgestellt werden kann. Jede neue
Thatsache aber bringt uns diesem Ziele einen Schritt näher, indem
sie die Anzahl der möglichen Hypothesen beschi'änkt. Das hier
nachgewiesene Factum, dass jede Farbe ihren besonderen Steigungs-
coefficienten hat, welcher entscheidende Bedeutung besitzt sowohl für
die zeithchen Verhältnisse der Farbenerregung (kritische Periode u. s. w.)
als auch für die HelligkeitsVariationen der Farben, spricht meines
Erachtens gegen jede Componententheorie; ob diese drei, vier oder
sechs Grundprocesse, Urvalenzen oder dergleichen annimmt, ist in
dieser Beziehung ganz einerlei. Von allen bisher aufgestellten Farben-
theorien scheint mir daher Wundt's Periodicitätstheorie, die einen
besonderen Vorgang für jede Farbe annimmt, die größte Wahrschein-
lichkeit beanspruchen zu können.
1) A. a. 0., S. 92ff.
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