Page 17 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Das Inertialsystem vor dem Forum der Naturforscnung. 5
die das dynamisclie Bezugssystem und die dynamische Zeitscala zum
Gegenstand ihrer Nachforschung gemacht haben, abstreiten wollen.
Beide Forscher werden femer schwerlich in Abrede stellen, dass wohl
Niemand auf Definitionen einen größeren grundsätzHchen Werth ge-
legt hat, als der »des wissenschaftlichen Betriebes« sehr wohl kun-
dige Altmeister Newton, der bekanntHch seine beiden Hauptwerke,
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die »Principien« und die »Optik« mit je acht Definitionen eröffnet.
Das Epitheton »naiv«, durch welches Volkmann das Streben nach
möglichst weitgehender definitorischer Sicherung des Begriffsgebäudes
herabzusetzen sucht, ist übrigens in gewissem Sinne ein hoher Ehren-
titel. Wenigstens befinde ich mich in erfreuHcher Uebereinstimmung
mit Mach, wenn ich betone, dass eine gewisse, geradezu klas-
sisch zu nennende, Naivetät wohl allen wahrhaft fördernden
Geistern in allen Epochen der Wissenschaft gemeinsam gewesen ist.
Dass »der wissenschaftliche Betrieb«, auf welchen sich Volkmann
beruft, zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Schulen ein über-
aus verschiedener ist, bezw. gewesen ist, mag nur kurz erwähnt werden.
In der Geschichtsschreibung der Wissenschaft und vielleicht auch
in einer Vorlesung für Anfänger mag der Hinweis auf die »rück-
wirkende Versicherung u. s. w. « allenfalls am Platze sein; im syste-
matischen Aufbau der Wissenschaft angewandt, würde er ledigHch zum
Vorwand dienen, imi wohlbegründeten Zweifeln mit eleganter, um nicht
zu sagen frivoler Leichtfertigkeit aus dem Wege zu gehen. Um dies
zu vollster Klarheit zu bringen, bedarf es nur noch der nachfolgenden
Auseinandersetzung. Das physikalische Begriffssystem ist nach Volk-
mann »nicht etwa aufzufassen als ein System, welches nach Art
eines Gebäudes von unten aufgefühi't wird, sondern als ein durch
und durch gegenseitiges Bezugssystem, welches nach Art eines Ge-
wölbes oder eines Brückenbogens aufgeführt wird und fordert, dass
ebenso die mannigfaltigsten Bezugnahmen auf künftige Resultate bis
zu einem gewissen Grade von vornherein vorweggenommen werden
müssen, A\ie umgekehrt bei späteren Ausführungen die mannigfaltig-
sten Zurückverweisungen auf frühere Verfügungen und Festsetzungen
statthaben müssen« ^j.
Bei solchen Gedankengängen darf sich zeitenweise der Anfänger,
niemals aber der Forscher beruhigen. Denn, um im Bilde Volkmann 's
zu bleiben, so ist doch die Solidität eines Gewölbes oder Brücken-