Page 22 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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\Q                        Ludwig Lange.

        einen  der  energischsten  Vertreter  einer  erkenntnisstheoretischen
        Richtung sehe, die ungeachtet mancher aufklärenden Bestrebung im
        einzelnen doch immer noch   eine  viel zu viel »transcendirende«22)
        genannt zu werden verdient; und vreil ich glaube, überflüssigen Tran-
        scendirungstendenzen in der Wissenschaft  einen höchst  unheilvollen
        Einfluss auf  die weitere G-esammtentwicklung  der menschlichen Er-
        kenntniss zuschreiben zu müssen.  Aus Nichts schmiedet ja der Ob-
        scurantismus bessere "Waffen für sein Arsenal, als aus den transcen-
        denten Hypothesen der Wissenschaft, und nächst den in der Sache
        selbst liegenden G-ründen ist dieser Grund wohl am meisten für mich
        bestimmend, wenn ich mit aller Entschiedenheit einer Beschränkung
        des hypothetischen Elements        in  der Mechanik auf das
        äußerste, unentbehrliche Minimum das Wort rede. Glücklicher-
        weise zählt diejenige Gruppe der Wissenschaften, welcher A. Comte
        das Prädicat besonders hoher wissenschaftlicher »Exactheit« einräumen
        zu müssen glaubte, — mit welchem Recht, bleibe hier unerörtert —
        eine  überwiegende Mehrzahl von  angesehenen Forschem,   die  den
        Volkmann 'sehen Standpunkt hinsichtlich der Auffassung der mecha-
        nischen Rrincipien nicht  theilen.  Dies  gilt zum mindesten bei uns
        in Deutschland, wo, wie H. Kleinpeter       in  einer interessanten
        Programmschrift des weiteren ausführt, überhaupt ein ständig wachsen-
        des Interesse der Naturforscher an erkenntnisstheoretischen Fragen,
        und zugleich eine zunehmende Tendenz im aufklärenden Sinne     zu
        beobachten  ist^s).
           So  ist  es denn auch kein Wunder,  dass  die größte Zahl  ein-
        gehenderer Arbeiten über die Frage des dynamischen Bezugssystems
        deutschem Scharfsinn und Gelehrtenfleiß  ihre Entstehung verdankt.
        Nächst den Deutschen haben die Engländer wohl am eifrigsten sich
        an der Discussion  betheiligt.  Wenn ich nun mit der Betrachtung
        der englischen Literatur der Gegenwart beginne,  so geschieht dies
        natürlich nicht darum, weil ich sie der deutschen überordnete.  Die
        Landsleute  eines Gauss, Humboldt, Helmholtz, Hertz         u. A.
        haben gewiss nicht nöthig, über den Kanal   hinüberzuschielen und
        ängstHch zu erwägen, was die britischen Fachgenossen zu ihren An-
        sichten sagen werden.  Ledighch der Umstand,  dass  es  sich in der
        vorliegenden Abhandlung um eine Theorie handelt, welche, ungeachtet
        der genialen Vorarbeiten des Deutschen Kepler und des Italieners
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