Page 40 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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28                        Ludwig Lange.

       vorschlage kritisch abwägende Besprechung  der  in Rede stehenden
       Grundfrage gar nicht erwarten,  Budde geht, wie die Mehrzahl der
       neueren Mechaniker, davon aus, zu betonen,  « dass die Ortsbestimmung
       ihrer Natur nach relativ«  ist;  »sie hat nur einen Sinn,  insofern ihr
       ein als gegeben vorausgesetztes Coordinatensystem zu Grunde gelegt
      wird« 64).  Er unterscheidet femer, wie es ebenfalls fast alle neueren
      Verfasser ähnlicher "Werke thun, mit principieller Strenge zwischen
      Phoronomie und Dynamik, und kommt in dem der letzteren gewid-
      meten zweiten Hauptstücke seines Buches auch    auf  die Frage des
      dynamischen Bezugssystems näher zu sprechen.   Er führt hier gleich
      anfänglich aus, dass eine Bezugnahme auf das triviale geocentrische,
      d. h.  mit dem Erdkörper  fest verbundene System genügt, um    die
      ersten dynamischen   Grundbegriffe,  insbesondere  den  Kraftbegriff,
      zunächst einmal im Rohbau aufzuführen 6-*).  Dann zeigt er, dass das
      Galilei'sche Princip  nicht in jedem beliebigen Coordinatensystem
      gelten kann, dass seine bis dahin vorausgesetzte Gültigkeit mit Bezug
      auf den Erdkörper überhaupt nur eine annähernde   ist, und dass die
      Natur,  soviel bekannt,  schlechterdings keinen einzigen Körper dar-
      bietet,  der dem Beharrungsgesetz unmittelbar und  in theoretischer
      Strenge zu Grunde gelegt werden dürfte ^^j.  Er schließt  diese Be-
      trachtungen mit einer Erörterung ab,  die in den folgenden Haupt-
      sätzen gipfelt: »Wir nehmen vorläufig an,     es existire in der
      "Welt wenigstens    ein Coordinatensystem,      in welchem das
      Galilei'sche Princip streng gültig ist.     Dasselbe soll, Funda-
      mental System'   heißen«.  .  .  .  »Bis zum ausdrücklichen Widerruf
      führen  wir von  jetzt ab  alle Rechnungen  unter Zugrundelegung
      eines Fundamentalsystems; die in ihm bestimmten Geschwindigkeiten,
      Kräfte  etc.  sollen  kurz  als  , absolute'  Geschwindigkeiten  etc.  be-
      zeichnet werden, und wo   keine Zweideutigkeit  eintreten kann,  als
      , Geschwindigkeiten  etc.'  schlechthin. — Dabei  behalten  wir  im
      Auge, dass  die Erde nicht sehr weit vom Fundamentalsystem ver-
      schieden  ist,  rohere  Resultate  der Rechnung  also  auf  der Erde
      bestätigt werden können «^^j
          Gegen  diese  Ausführungen  habe  ich  folgendes  einzuwenden.
      Erstens  will mir  die Ausdrucksweise:  »es  existire  in der Welt«
      wenigstens  ein Coordinatensystem u.  s. w.,  durchaus nicht gefallen-
      Der  reale Kern   des  Gesetzes  wird  doch,  wie  ich  nicht  weiter
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