Page 72 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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50 Ludwig Lange.
im geringsten an wissenschaftlicher Präcision gewänne. Eine par-
tielle Convention oder Forschungsregel ist nun der Galilei'sche
Satz unbedingt; und bis zur Dreizahl der betrachteten Punkte besteht
zwischen Johannesson und mir keinerlei Widerstreit. Vom vierten
betrachteten Punkt an hört dagegen die bloße Convention als
solche auf; es tritt ein objectives Forschungsergebniss in die
Betrachtung ein, was aber natürlich nicht in dem Sinne zu verstehen
ist, als ob nicht die Forschungsregel, nach ablenkenden Massen
zu suchen, fortbestehen bliebe.
Hiermit komme ich zu den beiden letzten Besprechungen, welche
von Vertretern der Naturforschung meinen Vorschlägen gewidmet
worden sind. Auf die eine von ihnen, diejenige von H. Kleinpeter
(1900)3) habe ich schon bei Gelegenheit eines zuerst von Prege
erhobenen Einwandes Bezug nehmen müssen. Kleinpeter 's schließ-
licher Formulirung des Beharrungsgesetzes kann ich vollständig zu-
stimmen. Eine ähnliche Formulirung hat übrigens schon J. Thomson
versucht^ö^). Beiden Fassungen gemeinsam ist es, die Construir-
barkeit eines einheitlichen Systems geradliniger Bahneinzeichnung
für alle »sich selbst überlassenen« Punkte in den Vordergrund zu
stellen. Aber so gewiss es ist, dass der objective Inhalt des Gesetzes
damit vollkommen erschöpfend wiedergegeben wird, so bedarf es doch
zuvor des phoronomischen Nachweises, dass die behauptete
Constructionsmöglichkeit bis zur Dreizahl bahnzeichnender Punkte
eine ohne jede dynamische Voraussetzungen allgemein
vorhandene ist. Solange nicht dargelegt ist, dass jene Construc-
tionsmöglichkeit erst vom vierten Punkt an einen beachtenswerthen
objectiven Inhalt gewinnt, so lange fehlt die volle dem Gesetz zu-
kommende Beleuchtung.
Was Kleinpeter von mir trennt, scheint mir übrigens weniger
erheblich zu sein, als das, was uns einigt. Denn, um das wichtigste
voranzustellen, Kleinpeter gehört zu den wenigen strengen
Relativisten, die auch die letzte Consequenz ziehen, und die Frage
der astronomischen Weltsysteme als eine Frage nicht der Wahrheit,
auch nicht der Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich der elegan-
teren Verrechnung ansehen: »Sonne und Erde bewegen sich
gegen einander, das ist die Wahrheit« i<*8). Wenige Seiten später
heißt es, unter besonderer Bezugnahme auf den zeitlichen Theil des