Page 70 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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58                        Ludwig Lange.

        der Abstraction  aus den Congruenzexperimenten   der Maßstabver-
        fertiger unmöglich  als ebenbürtig an die  Seite  stellen kann.  Nur
        die Vergleichung zweier räumlicli getrennter Strecken mit Hülfe des
       bloßen »Augenmaßes< kann         als Analogon der lediglich sub-
       jectiven Zeitvergleichung herangezogen werden.      So wenig aber
       die Geometrie  sich auf  das Augenmaß   stützen darf,  ebensowenig
       die Mechanik auf den Zeitsinn, oder auch nur auf Abstractionen,
       die von bloßen Erfahrungen über die äußerst schwankende »subjective
       Zeit« hergeleitet sind.  Die Bemerkung Johannesson's, Neumann 's
       Zeitscala setze im Grunde der gangbaren Zeitvorstellung nur begriff-
       liche Schrauben an,  verliert alle und jede  kritische Spitze,  sobald
       wir uns vergegenwärtigen,  dass  es  eine allgemeine Eigenschaft, um
       nicht zu sagen »Untugend« sämmtlicher Theorien  ist, der Praxis des
       sogenannten gemeinen Menschenverstandes »Schrauben anzusetzen«.
           Geradezu verblüfft hat es mich, dass Johannesson aus meinen
       Veröffentlichungen eine (unbeabsichtigte) Anerkennung des absoluten
       Charakters der Drehbewegung herauslesen konnte  io3j.  Da er seine Be-
       hauptung übrigens nicht begründet, habe ich eine Widerlegung nicht
       nöthig. Die Leetüre zahlreicher Stellen des »Bewegungsbegriffes« muss
       dem aufmerksamen Leser genügen, um mich gegen eine solche Darstel-
       lung zu rechtfertigen, die außer unserem Kritiker und dem des Deutschen
       vielleicht minder sprachkundigen Engländer Greenhill auch Nieman-
       dem weiter beigefallen zu sein scheint. Johannesson selbst bekennt
       sich in rückhaltlosester Weise zur Relativität und Reciprocität der Be-
       wegung; er meint indess, »dass die Ueberzeugung von der Beziehungs-
       natur  aller Bewegung von niemandem bestritten werde« ^'^^j^  Hierin
       muss ich ihm widersprechen.  Es gibt leider noch immer eine Menge
       Vertreter der Wissenschaft, die den mystischen Nebel des Absoluten
       nicht mit erforderlicher Strenge und Beharrlichkeit dahin verweisen,
       wohin  er gehört, nämhch in das   abgetrennte poetische Reich  der
       Träume und Phantasien.    Solche Leute fürchten  fast,  den besten
       Theil ihrer Seele zu verheren, wenn sie jene Grenze zwischen Wissen-
       schaft und Dichtung   streng und consequent  einhalten  sollen,  die
       ihnen eine wohlbegründete, und von ihnen selbst im Princip durchaus
       gut  geheißene  Erkenntnisstheorie  anweist.  Die  »Enttäuschung«,
       welche mit jeder reifen und klaren Erkenntniss der Wahrheit nach
       Mach 's treffendem Ausdruck verbunden zu    sein  pflegt, kann nun
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