Page 68 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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56                        Ludwig Lange.

       wohl nicht über allen Zweifel erhaben zu sein.  Die Verschmelzung
       des Trägheitssatzes mit dem Princip des kleinsten Zwanges ist recht
       bedenklich.  Ein scheinbarer Yortheil  dieser Verschmelzung könnte
       zwar vielleicht darin gefunden werden, dass von allen Leitsätzen der
       Mechanik derjenige des »kleinsten Zwanges«  als einziger die Eigen-
       thümlichkeit  hat,  ohne Zugrundelegung  eines bestimmten Bezugs-
       systems  einer klaren Vorstellung  zugänglich zu  sein.  Allein eine
       Anwendung    des  Hertz'schen  combinirten  Trägheitssatzes  ist  in
       Strenge nur möglich, wenn der Fall der zwanglosen Beharrung als
       eigentliche Grundlage im  voraus betrachtet wird.  Thut man das
       aber,  so drängt  sich  die Frage des Bezugssystemes als Grundfrage
       aller Dynamik, auch der Hertz'schen, mit nicht wegzuleugnender
       Dringlichkeit  auf.  Nun ist, wie oben schon einmal erwähnt wurde,
       Hertz auf Newton's Scholium gar nicht näher eingegangen; über-
       haupt scheint er zu einer ausführlicheren Besprechung der Streitfrage
       nicht aufgelegt gewesen zu sein.  Dass er aber mindestens der abso-
       lutistischen Bewegungstheorie nicht das "Wort geredet wissen wollte,
       geht schon aus den Artikeln 303 und 304 der »Principien« hervor, in
       deren ersterem er ausspricht, »dass wir durch thatsächliche Bestimmung
       mit Hülfe unserer Sinne doch keine Zeit genauer festlegen können,  als
       sie sich messen lässt mit Hülfe der besten Chronometer, keine Lage ge-
       nauer, als  sie sich beziehen lässt auf ein mit dem entfernteren Fix-
       sternhimmel ruhendes Coordinatensystem«  i<><*).  Dem Physiker kann
       dieser Standpunkt genügen.  Wie aber Mac Gregor nachgewiesen
       hat, führt schon die historisch-kritische Betrachtung der mechanischen
       Principien mit Nothwendigkeit über ihn hinaus ^^^), und der Stellar-
       astronom dürfte außer Stande sein, etwas mit ihm anzufangen.
          Auf   die im Jahre 1896   erschienene Programmschrift von   P.
       Johannesson^) habe ich schon mehrfach, zuletzt bei Besprechung
       der Frege'schen Studie Bezug genommen.    Im Nachfolgenden muss
       ich noch einigen weiteren Kriticismen des Verfassers zu begegnen
       suchen.
          Ein  sehr  offenkundiger Irrthum  scheint  es mir zu  sein, wenn
       Johannesson der von Neumann, und ebenso von mir und vielen
       Anderen   geübten Kritik  des Ausdruckes   > geradlinige Bahn«  die
       eigentliche Spitze abbrechen zu  sollen glaubt, indem  er es so dar-
       stellt,  als  liege in dieser Kritik eine Anzweifelung des »Begriffes
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