Page 92 - Stiftung Warentest - Warenkunde Brot - Gutem Brot auf der Spur
P. 92

gering, denn auch viele Kleinbetriebe arbeiten indirekt über Vormischungen oder
          Spezialbackmittel mit Zusatz- und Hilfsstoffen.





                                   Mythos Ostschrippe: Klein und fest, aber unübertroffen im Geschmack – viele
                                   Deutsche schwelgen in Erinnerungen an die Ostschrippe. Handelt es sich dabei um
                                   Ostalgie, oder war die Qualität wirklich so gut? Eindeutig beweisen lässt sich das nicht
                                   mehr, aber erklären. So war das Mehl in der DDR unbehandelt, also zum Beispiel frei
                                   von Ascorbinsäure und technischen Enzymen. Heute helfen diese Zusatzstoffe unter
                                   anderem dabei, dass der Teig besser aufgeht und die Krume lockerer wird. „Die eine“
                                   Ostschrippe aber gab es wohl nicht. Sie war eher das Resultat täglicher
             Improvisationskunst – mal war die Hefe zu trocken, mal das Mehl nicht ideal. Handwerksbäcker glichen das
             mit vielen Kniffen, Wissen und Erfahrung aus, ließen den Teig etwa lange ruhen oder gaben Teig vom Vortag
             zu. Das verbesserte ganz nebenbei auch den Geschmack.




          Um mit den über mittlere und große Betriebe belieferten Filialbäckereien, Backshops
          und Discountern mithalten zu können, stellten über die Jahre viele kleine Betriebe ihr
          Sortiment und ihre Produktionsbedingungen um. Ziel war eine ebenso breite Auswahl an
          Broten, Klein- und Feingebäck, wie es die großen Betriebe anboten. Außerdem

          veränderte sich das Kaufverhalten. Wurde früher noch morgens beim Bäcker gekauft,
          kaufen heute viele Menschen entweder Snacks zwischendurch oder Brot und Brötchen
          erst in den Abendstunden. Die Erwartung der Kundschaft, auch abends noch volle
          Brotregale vorzufinden, stellte kleine Betriebe vor schicksalhafte Veränderungen.


          Der Maschinenpark wurde vergrößert. Es kamen Vormischungen oder Fertigmischungen,

          gar Tiefkühlteiglinge zum Einsatz, um mit der vorhandenen Arbeitskraft die gestiegenen
          Anforderungen erfüllen zu können. Als Folge daraus sank die Qualität auf ein Niveau,
          das dem der Discounter und Backshopketten in nichts nachstand. Kein Wunder, denn die

          Rohstoffquellen waren nun dieselben, die Verarbeitung ähnlich.


          Und dennoch konnten die Kleinbetriebe ihre Backwaren nur teurer anbieten als die
          Konkurrenz, weil bei der im Vergleich geringen Produktionsmenge Lohn- und
          Energiekosten viel stärker zu Buche schlugen. Der scheinbar einzige Ausweg war:
          weitere Expansion, mehr Filialen, mehr Mechanisierung.
   87   88   89   90   91   92   93   94   95   96   97