Page 109 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
P. 109
VOM GETREIDE
ZUM MEHL
Das Korn ist die Basis. Will man daraus gutes, wertvolles Mehl
herstellen, ist die Rückbesinnung auf G’spür und Tradition ebenso
wichtig wie Innovation oder exakte Arbeit im Labor.
Müllerin Lisa rauscht energiegeladen und strahlend lächelnd ins Zimmer: „Hallo! Und sorry ...
Darf ich kurz stören?“ Sie wendet sich an Seniorchef Peter: „Schau mal, die Amylogramme sind jetzt
da“, wedelt sie mit einigen A4-Blättern und zeigt ihm die soeben eingetroffenen Ergebnisse aus einem
externen Labor.
Kurz und konzentriert gehen Vater und Tochter die Werte, die über den Zustand der Stärke im
Getreidekorn Aufschluss geben, durch. „Naja, nicht umwerfend“, kommentiert der Senior. Lisa blickt
über seine Schulter aufs Papier. „Ich hab’s gesehen“, nickt sie mit ernster gewordener Miene
zustimmend. Spricht’s, lächelt wieder und ist auch schon weg.
Es herrscht der ganz normale Mühlenalltag während der Hochsaison Erntezeit:
Getreideübernahme, Fallzahlanalyse, Musterstechen, Arbeiten im hauseigenen Labor und vieles
andere steht in diesen Tagen mehr oder weniger gleichzeitig auf dem Programm.
Wir sind in Raabs an der Thaya zu Gast, einer Stadtgemeinde mit etwa 2.700 Einwohnern. Mitten
drin im Waldviertel gelegen, einer sehr ruhigen und ebenso naturbelassenen Region Österreichs. Hier
gibt es unter anderem eine bemerkenswert hohe Dichte an Bio-Bauern, hier gedeiht auch das
Brotgetreide Roggen seit Jahrhunderten aufs Allerbeste.
Die Familie Dyk betreibt in fünfter Generation die „Erste Raabser Walzmühle“. Man kauft und
verarbeitet Roggen – etwa die besondere alte Sorte Waldstaudekorn – ebenso wie Weizen, Dinkel
oder Hafer. Produziert wird Vollkornmehl sowie weißes Mehl der verschiedensten Mahlgrade und
Typen.
Die stolzen Silos mit ihren verschiedenen inneren Abteilungen, den sogenannten Zellen, ragen auf
dem Mühlengelände in den Waldviertler Himmel. Von ganz oben, sozusagen vom Silo-Dachboden
aus, bieten sie übrigens einen wunderbaren Ausblick; über den Fluss mit seinen Wehranlagen, die
mächtige Burg der Stadt und die Landschaft rundum. Im Boden befinden sich Klappen zu den
einzelnen Silozellen, darunter sind manche bereits randvoll mit Getreide gefüllt. „Bio Dinkel“ oder
„Demeter Waldstaude“ steht dann sorgfältig angeschrieben. Eine noch leere Silozelle gewährt
Aussicht in den Bauch der Lagerstätte: Gähnende Tiefe über etliche Stockwerke erwartet den
Betrachter. Gerade vor kurzem, so erzählt die Müllerin und leuchtet mit einer Stablampe ins Innere,
sei diese Silozelle generalgereinigt worden. Dazu seilen sich Mitarbeiter ab wie Bergsteiger, um alles
gründlich zu putzen. Wohl nichts für Schwindelanfällige, denkt man unwillkürlich. Ein paar der
Aufbewahrungstürme haben auch schon gut hundert Jahre auf dem Buckel, sie sind noch fast
vollständig aus Holz gebaut. „Demeter-Landwirte lieben die besonders“, schmunzelt Firmenchefin
Lisa.