Page 106 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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Das genügsame



                                               KORN AUS


                                               DEM WALD





       Im niederösterreichischen Waldviertel wird in den letzten Jahren ein

       spezieller Roggentyp, das Waldstaudekorn oder der Johannisroggen,

         wieder vermehrt angebaut – sehr zur Freude mancher Bäcker und

                      aller Freunde eines aromatischen Sauerteigbrotes.









  Das kleine Korn mit dem intensiven Geschmack ist so etwas wie der Inbegriff einer traditionell

  genutzten Getreidesorte. Es erfüllt viele Ansprüche gleichzeitig, ist robust, selbst für karge Böden
  bestens  geeignet  und  Viehfutter  wie  Brotgetreide  in  einem.  Waldstaudekorn  war  früher  in  ganz
  Mitteleuropa  verbreitet.  Das  Getreide  wurde  in  Österreichs  waldreichen  Regionen  nördlich  der
  Donau  ebenso  angebaut  wie  in  Polen,  der  Slowakei  oder  Deutschland.  Seinen  Zweitnamen
  „Johannisroggen“ trägt es, da es meist rund um Johanni, den 24. Juni, ausgesät wurde.
     Die Geschichte dieser Roggensorte reicht speziell in den österreichischen Regionen Wald-, Wein-

  und  Mühlviertel  bis  in  urgeschichtliche  Zeiten  zurück.  Waldstaudekorn  war  vermutlich  schon  in
  prähistorischen Zeiten ein Musterbeispiel effizient genutzter landwirtschaftlicher Flächen. Genügsam
  und pflegeleicht wurde es nach den Brandrodungen auf kleinen Lichtungen ausgesät, um das mühsam
  eroberte Land von neuerlichem Strauch- und Baumbewuchs freizuhalten. Mit den rauen Bedingungen,
  die es dort vorfand, kam es bestens zurecht. Es stellte wenig Anforderung an den Boden, und seine bis
  zu drei Meter langen Halme schafften es auch an exponierten Stellen bis ans Licht.
     Im ersten Jahr wurde es als Futtergetreide genutzt und entweder abgemäht oder gleich direkt vom
  Vieh abgeweidet. Das regt die „Bestockung“ an, wie die Fachleute sagen. Die Pflanze bildet dabei sehr
  viele kleine Seitentriebe im Boden, die im nächsten Frühjahr zeitig Ähren tragen. Im zweiten Jahr
  wurde  das  Korn  geschnitten,  ausgedroschen  und  zu  Mehl  vermahlen.  Die  langen  Halme  lieferten
  darüber hinaus ausgezeichnetes Stroh für das Vieh. Allein der Ertrag war (und ist) verhältnismäßig
  bescheiden, und so verschwand das Waldstaudekorn mehr und mehr von der Ackerfläche.
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