Page 68 - Taschenbuch Michel Grassart, Abbè Pierre die Wahrheit...
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wappnet sein musst, jederzeit. Um zu überleben, wurde
ich zum Jaguar, der ein Schattendasein fristete. Ich ent-
wickelte immense geistige wie körperliche Fähigkeiten,
an denen ich oft fast zugrunde ging; aber um zu überle-
ben, musste ich alle Probleme selber lösen. Dabei be-
wegte mich oft eine innere Traurigkeit, denn ohne seeli-
schen Beistand und Liebe einer Familie – wie konnte ich
darin wachsen und aufblühen? Das merkte ich speziell als
Pfadfinder. Ich holte seit der Entstehung der Pfadfinder
die meisten Goldmedaillen. Überall rief man meinen
Namen „Piccolo“ der Kleine, und ich war sehr stolz auf
mich, aber mir fehlte eine Familie, die mir ein Fundament
an Achtung und Liebe entgegenbrachte. Ihr Lügennetz,
das sie immer wieder gegen mich aufbauten, half mir
nicht gerade, um zu wachsen. In verschiedenen Pfadfin-
derlagern war ich oft traurig, denn alle Pfadfinder beka-
men Besuch von ihren Familienangehörigen, und uns
besuchte nie jemand. Einmal, im Tessin, weinte ich am
Straßenrand stundenlang so vor mich hin, dabei wurde
ich total verregnet; ich hielt dauernd nach einem Wagen
Ausschau, aber es kam niemand, um mich zu besuchen.
Oft weinte ich auch innerlich, das war schwerer zu ent-
decken. Aber ihre eigenen Kinder besuchten sie von
Australien bis Kanada etc. ohne Worte. Ich spannte mei-
ne Fäden vom Milieu bis zu den höchsten Gesellschafts-
schichten, zu den Mächtigen. Oft fragten mich Kollegen
und Freunde, und das auch schon als Kind: Michel, wie
kannst du lachen und fröhlich sein mit deinem Leben als
Sklave? Ich erklärte ihnen klar und deutlich: Jedes Danke,
jedes Lächeln, das mir ein Mensch in Ehrlichkeit entge-
genbringt, gibt mir Kraft, um weiterzumachen, und somit
leite ich es gerne weiter, in Liebe. Ihre Antwort war meis-
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