Page 72 - Taschenbuch Michel Grassart, Abbè Pierre die Wahrheit...
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allen Varianten entgegenkam. Meine wundervolle syri-
sche Beduinenmama, die mir ein seltenes Gewürz Zaatar
mit viel Herzblut zubereitete, diese speziellen Augen, die
mich sehr tief blicken ließen. Auch die wunderschönen
Beduinenfrauen, die wie Gazellen dahinflogen, um ihrer
Arbeit nachzukommen und um dich zu bewirten, natür-
lich nur als Familienmitglied. Sonst war der Hausherr im
Vordergrund, wenn Fremde kamen, die stolzen Beduinen
da wusste ich: Das war das auserwählte und lieblichste
Volk, das mir je auf Reisen begegnet war. Sie waren so
natürlich und grundehrlich, das suchte ich mein Leben
lang und hatte es endlich gefunden. Und für mich gibt es
nichts Schöneres in Israel oder besetzten Gebieten, als
bei meinen geliebten Beduinen oder Palästinensern zu
sein, ich habe sie alle bis zum Heute für immer zutiefst in
meinem Herzen verankert. Sie gaben mir auf meiner
Seelenwanderung den wundervollen inneren Halt, den
ich brauchte und immer gesucht hatte. Sie teilten mit mir
das Wenige, das sie hatten, sowie Freude und Leid auf
allen Ebenen. In der Armut steckt Ehrlichkeit bis in die
tiefste Seele, denn Armut verbindet. Es gibt keine ehrli-
cheren Menschen als die, die nichts besitzen, aber ihr
Herz ist Gross, und sie teilen ihr letztes Hab und Gut mit
jedermann. Armut bedeutet, eine große Familie zu sein,
egal wo auf Erden. Durch Armut denken gewisse Organe,
man könne sie besser in Schach halten – weit gefehlt!
Auch wir könnten uns wehren und aufstehen, davor
fürchten sich viele Organe, aber wir haben Geduld, bis
uns das Licht den Weg weist, danke! Nebenbei erlebte
ich auch etwas Sonderbares: Eine Jüdin verliebte sich
und heiratete einen Beduinen. Dabei hat sich die ganze
jüdische Familie abgegrenzt, das erlebte ich nicht nur
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