Page 74 - Taschenbuch Michel Grassart, Abbè Pierre die Wahrheit...
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Auschwitz waren. Denen vertraute ich nur teilweise; ich
         habe  das  Gefühl,  die  bauen  die  jungen  Zionisten  auf,
         gegen den Rest der Welt. Aber auch unter denen gibt es
         wenige grundehrliche Menschen. Eines Tages im Kibbuz
         Gvat hatte mir eine Giftspinne etwas ins Auge gespritzt,
         und es schwoll innert Sekunden faustgroß an. Ich wurde
         dann  in  den  Kibbuz  Yifat  gesandt.  Als  ich  in  der  Praxis
         war,  kam  ein  weißhaariger  Doktor  zu  mir  und  wir  be-
         grüßten  uns  auf  Deutsch.  Da  wollte  er  wissen,  ob  ich
         Deutscher bin; ich verneinte: Ich lebe in der Schweiz. Er
         wollte, dass ich einen Satz in Schweizerdeutsch spreche.
         Als ich es tat, zeigte er mir seine Nummer am Arm von
         Auschwitz und sagte unverblümt: Zum Glück bist du kein
         Deutscher, sonst hätte ich dich erblinden lassen. Das ist
         Rassismus  pur,  wie  vieles  in  Israel.  Aber  ich  habe  auch
         liebenswerte Juden kennengelernt, aber denen erlaubte
         man nicht, dass sie zu mir Kontakt pflegen durften, wie
         generell  selten  zu  anders  denkenden  Religionen.  Wer
         sich  in  Israel  für  Andersdenkende  einsetzt  oder  ihnen
         gegenüber Sympathie zeigt, kann von den Zionisten so-
         fort ausgegrenzt werden, oder er findet keinerlei Arbeit
         mehr. Alle Geheimdienste bespitzeln einander, auch ihr
         eigenes Land – was ist denn das für ein Leben und Sein?
         Nebenbei:  Wenn  du  bei  den  Beduinen  oder  sonstigen
         arabischen  Freunden  verkehrst,  bekommst  du  von  der
         Besatzungsmacht eine spezielle Nummer in den Pass, als
         internationaler  Drogenhändler,  Persona  non  grata  etc.,
         weil  du  dich  als  multikultureller  Mensch  durchs  Leben
         bewegst, dich der Besatzungsmacht nicht anpasst. Israel
         war für mich ein wunderschönes, aber auch sehr suspek-
         tes Land,  in  dem  unnötig Hass  und  Krieg  schwelte. Ne-
         benbei sagte mir mal ein Israeli: Weißt du, Michel, soll-



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