Page 223 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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              Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde.  211

        Den speciellen Nachweis, wann das logische Bewusstsein anfängt
     in die Bildungen der Wortbedeutung einzugreifen  (der übrigens bei
     dem bisherigen Stande der Beobachtung sehr schwierig  ist), suche ich
     in meiner größeren Schrift über die kindliche Sprache zu erbringen.



               8. Die Thätigkeit des Schliefsens beim Kinde.
        Wenn die oben durchgefülu*te Auffassung   richtig  ist,  dass  die
     logischen Thätigkeiten des Kindes sehr viel später auftreten als alle
     bisherigen Beobachter annahmen, so muss sich das auch darin zeigen,
     dass die  Thätigkeit  des Schließens, insbesondere  der syllogistische
     Schluss sich erst sehr spät beim Eande nachweisen lässt.  Thatsache
     ist, dass die einfachsten Formen der Induction, insbesondere die in-
     ductive Verallgemeinerung früher spontan vom Kinde bethätigt werden
     und seinem Verständniss weniger Schwierigkeit bereiten als der Schluss
     vom Allgemeinen aufs Besondere. Im Gegensatz zu dieser Auffassung
     stehen nicht nur Beobachtungen, wie die von Preye r und Lindner,
     sondern auch die Angaben    neuerer Forscher,  die im  allgemeinen
     zurückhaltender mit der Annahme logischer Thätigkeit beim Kinde
     sind (Tracy, Ament).   Mit welcher Kritiklosigkeit diese Beobachter
     Schlüsse beim Kinde annehmen, möge an      einigen Beispielen von
     Ament gezeigt werden.   Folgende Beobachtungen bezeichnet er als
     verallgemeinernde Schlüsse. »Ich legte ihr (der Louise) eine mit Messing-
     nägeln beschlagene Kugel, ein Ei und eine cylinderförmige Büchse  .  .
     vor, um sie zu Benennungen zu veranlassen.   Nur das Ei erkannte
     sie sofort als Ei  .  .  .  Nach langem Betrachten sagte sie kugi, dann
     habedt und einmal der Mama (Dativ), die beide abwesend waren, (mit
     babedt ist die Kinderfi-au gemeint).  Das letztere nennt nun Ament
     einen verallgemeinernden Schluss.  Es bedarf kaum der Bemerkung,
     dass hier nichts vorliegt, als Association dui'ch Simultaneität: »Mama
     und ihr Besitz,  die Kugel« und eine Reproduction des Namens der
     Mama auf Grund des Anblicks der Kugel. Ein anderer Fall: »Sie war
     in meinem Zimmer, als es draußen klingelte,  sie sagte papa, weil sie
     weiß, dass der Vater  schellt , wenn er kommt, und deshalb schließt,
     wenn es schellt, muss er kommen«  (S. 79). Auch hier ist keine Spur
     von einem Schluss vorhanden.  Das Klingeln und die Eiinnenmg an
     den Vater bezw. der Name des Vaters haben sich assocürt und der
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