Page 219 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde.  207

    alle abgebildeten menschlichen Figuren, die es unter sehr auffallen-
    den Umständen wieder erkannte. An diesen Wortbildungen ist Ver-
    schiedenes auffallend.  1. Dass das Kind überhaupt solche Vorgänge
    mit demselben Worte benennt,   die w-ie das Verdunkeln des Lichtes
    mit dem Lampenschirm und das Weggehen einer Person für den
    Erwachsenen kaum irgend etwas gemeinsam haben.       Es wird uns
    schwer, das Gremeinsame in solchen Vorgängen überhaupt richtig zu
    bezeichnen. Man muss sich schon überlegen, dass das Verschwinden
    eines Gesichtseindrucks  vielleicht das Gemeinsame  aller dieser Vor-
    gänge  ist.  Wenn nun wirklich das Band das Gemeinsame aus so
    gi'oßen Verschiedenheiten durch Analyse und vergleichende Vorgänge
    herausfände,  so wäre das eine unbegreiflich große Leistung seiner
    Intelligenz, die ihm allerdings von Preyer und anderen zugemuthet
    wird.  Man muss nun bei diesen Beobachtungen zweierlei scheiden.
    So lange die beobachteten Vorgänge nur so weit verschieden   sind,
    dass in ihnen noch gemeinsame Theilvorgänge für die Wahrnehmung
    vorhanden sind (wie bei dem Weggehen und Kommen einer Person),
    ist  die vdrkliche Leistung des Kindes  eine sehr einfache.  Gerade
    weil solche Vorgänge in gewissen Punkten so außerordentlich ver-
    schieden sind, kann das Kind diese Verschiedenheiten gar nicht be-
    merken, es braucht nicht mit frappirender Energie der Vergleichung
    aus großen Verschiedenheiten gemeinsame Merkmale herauszulösen,
    seine Aufmerksamkeit wird ausschließlich gefesselt von gewissen diesen
    Vorgängen gemeinsamen Seiten oder Theilvorgängen, und diese fesseln
    seine Aufmerksamkeit, weil Bewegungen, Veränderungen und Vor-
    gänge überhaupt dem Kinde interessanter sind als nihende Objecte
    und ihre Eigenschaften.  Wenn aber die beobachteten Vorgänge so
    verschieden sind, dass die Wahrnehmung keine gemeinsamen Theil-
    vorgänge mehr an ihnen finden kaim (wie beim Verdunkeln der Lampe
    durch den Schirm und beim Oeffnen der Thür), so kann man nicht
    mehr annehmen, dass hierbei die Differenz der Vorgänge nicht wahr-
    genommen würde, in diesem Falle tritt als Reiz für die gleiche Be-
    nennung ein emotioneller Effect ein, der sich mit dem verbunden hat,
    was den Vorgängen objectiv gemeinsam ist.  Für beide Vorgänge, das
    Verdunkeln einer Lampe und das Weggehen einer Person, sind Kinder
    außerordentlich stark interessirt,  sie eri-egen lebhaft ihr Gefühl. An
    dieses Gemeinsame des Erlebnisses knüpft sich der gleiche Wunsch
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