Page 222 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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E. Meumann.
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       anfangs  alle Münzen, dann,  als  es  die  Silber- und Nickelmünzen
       unterscheiden gelernt hat, wird das Wort auf die Kupfermünzen be-
       schränkt und für die übrigen der Name »weißer Pfennig« eingeführt
       (Ament). Da dies einer der allergewöhnlichsten Processe der Kinder-
       sprache  ist, kann ich dafür auf die Literatur verweisen.
          3) Ein weiteres Motiv  liegt in den fortschreitenden Kenntnissen
      und Erkenntnissen des Kindes   selbst, vor allem in der genaueren
      Wahrnehmung derselben. Analyse und Vergleichung vermehren seinen
      Vorrath an selbständig reproducirbaren Theilvorstellungen.  Die zu-
      nehmende Genauigkeit der Wahrnehmung,      die wachsende Concen-
      tration der Aufmerksamkeit, die zunehmende Kraft des Gedächtnisses
      regen  die Analyse und Vergleichung an und damit die ersten An-
      fänge des Abstractionsprocesses.  Es  ist bekannt,  dass  diese Be-
      reicherung  der  kindlichen Wortbedeutung  auch   in  der  äußeren
      Sprachform zum Ausdruck kommt. Dem Kinde sind seine Namen-
      erwerbungen  so wichtig, dass  es sie auch durch eigenartige sprach-
      liche  Bildungen  bekundet  (Beispiele  dafür  zusammengestellt  bei
      Rzesnizek).
         4) Die Associationsprocesse selbst bereiten, wie ich schon erwähnte,
      die spätere Begriffsbildung in gewissem Maße vor.  Zusammengehörige
      Eigenschaften (Empfindungsgruppen) werden auch in öfterer Wieder-
      holung zusammen beobachtet, gesehen, betastet, gehört und associiren
      sich. Es bilden sich durch den Associationsprocess einerseits Gruppen
      zusammenhängender Theilvorstellungen,  die den Classificationen des
      Erwachsenen   entsprechen,  anderseits  durch  die  associative  Ver-
      drängung gewinnen   diese  stärker und  öfter mit dem Worte   ver-
      knüpften Vorstellungen die Oberhand über die seltener darunter ge-
      fassten und über solche, die sich zugleich an andere Worte angliedern.
      Es braucht dabei das Bewusstsein von der logischen Bedeutung
      dieser Vorarbeit der Associationsprocesse nicht vorhanden zu sein.  So
      lange dieses aber nicht bei der Wortbildung mitwirkt, fehlt der Bedeu-
      tungsbildung der Charakter logischer Synthese.
         Man sieht nun leicht, dass  alle diese Motive zu correcterer Bil-
      dung der Wortbedeutungen keine logischen Motive sind.  Allen diesen
      Zwecken kann auch   die Arbeit  der  associativen Erweiterung und
      associativen Verdrängung gerecht werden, ohne dass ein Bewusst-
      sein von der Richtigkeit oder Gültigkeit der Bildungen daist.
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