Page 221 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde.  209

     Ausscheidung von Theilvorstellungen aus der Wortbedeutung durch
     associative Verdrängung zu Stande konunt oder auf Grrund der Er-
     kenntniss, dass sie einer anderen Klasse von Gregenständen zugehören.
         Am   leichtesten  nachzuweisen  sind  die treibenden Motive,
     welche das Kind veranlassen, über die erste Bedeutungsstufe hinaus
     zu gehen.   Sie machen   es zugleich außerordentlich wahrscheinlich,
      dass  die Annäherung  der kindlichen Wortbedeutung an den Be-
      deutungstypus der Erwachsenen lange Zeit ganz ohne jede   begriff-
     bildende Thätigkeit vor sich geht, und obgleich sich die Bedeutungen
     im Sinne des Erwachsenen umbilden,    bleibt der Umbildungsprocess
      doch noch lange ein rein associativer.  Die Associationsprocesse ver-
      richten dabei aber eine Vorarbeit für die spätere Begriffsbildung, die
      erst  sehr  viel  später  theils unter dem Einfluss der zunehmenden
      Intelligenz, theils auf Grund des Unterrichtes zu Stande kommt.
         Es scheinen hierbei hauptsächlich vier Motive wirksam zu sein.
         1) Dem Kinde treten die Wortbedeutungen des Erwachsenen be-
      ständig als  eine feste Norm gegenüber, an welcher ihm zuerst das
      Verständniss  dafüi* aufgeht,  dass nicht alles Beliebige unter einem
      Worte zusammengefasst w^erden darf.  Der Erwachsene bemerkt die
     in seinem Sinne falsche Wortverwendung des Kindes und gi-eift corri-
      girend ein (Beispiele für diese, wie  für die folgenden Ursachen der
     Bedeutungsentwicklung   enthält  die Literatur der Kindersprache in
      großer Menge, vergleiche für den vorigen Fall Taine, S. 290, die
      Veränderung des Wortes Mh^.
         2) Der Zwang des Lebens,  d. h. der Verkehr mit den Erwachsenen
      ohne deren persönliche Einwirkung und der Conflict mit den unper-
      sönlichen Lebensumständen verrichtet dem Kinde einen ganz analogen
      Dienst. Es bemerkt, dass es sich vor Verwechselungen, vor L'rthümem,
      vor unrichtiger Erfüllung seiner Wünsche nur dann schützen kann,
      wenn es seine anfänglichen Wortbedeutmigen einer bestimmten Be-
      schi'änkung unterzieht.  Hierbei findet gradezu eine Art von Auslese
      (Selection) unter seinen Worten statt.  Fortwährend werden, wie uns
      die  ersten Vocabulaiien zeigen, versuchsweise Woi-te gebildet und
      wieder fallen gelassen.  Diese Auslese bethätigt sich ganz besonders
      in der Hinsicht, dass manche Worte auf einen Theil der früher be-
      zeichneten Gegenstände beschränkt werden.   Für den Best werden
      neue Bezeichnungen eingeführt.   Mit Pfennig bezeichnet ein Kind
         Wundt, Philos. Stndien. XX.                       14
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