Page 214 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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E. Meumann.
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        Lindner's Knabe verstand erst im 34. Monat eine Metapher, nach-
        dem er sie früher fast immer missverstanden d. h. wörtHch genommen

        hatte.  Im 31. Monat sprach   er  selbst zum ersten Male in meta-
        phorischer Form (vergl. Lindner, S. 78, 90 und 103).  Es ist femer
        jedem,  der  einmal Kinder  beobachtet  hat,  bekannt,  dass  in  der
        Kinderstube  nicht selten  die wunderlichsten Missverständnisse  ent-
        stehen, weil Kinder metaphorische Ausdrücke wörtlich nehmen, und
        die Kindersprache selbst die Dinge so unbildlich als möglich bezeichnet.
        Selbst gegenüber dem 6- und 7 jährigen Schulkinde gilt noch immer
        die Regel, dass nichts gefährlicher  ist als zu ihm in Metaphern zu
        sprechen, und dass seine eigne Sprache abgesehen von seltnen Aus-
        nahmen ganz   frei von  symbolischer Bezeichnung  ist.  Und  dabei
        sollte das 2- bis 3jährige Kind gewissennaßen normaler Weise sich
        symbolisch und metaphorisch ausdrücken!  Ich würde diese gänzlich
        verfehlte Hypothese Mauthner's    überhaupt  nicht erwähnt haben,
        wenn  sein Werk über die Sprache nicht in   so hohem Maße über-
        schätzt würde.
           Als mitwirkende Umstände für die Art der Wortverwendung beim
        Kinde sind endlich noch anzusehen sein mangelhaftes Wissen und
        der Trieb  des Kindes,  mit  seinen Benennungen Recht  zu haben.
        Dieser letztere Trieb  zeigt sich bei allen Kindern ohne Ausnahme.
        Das Kind hält seine einmal gewonnenen Bezeichnungen mit Hart-
        näckigkeit gegenüber  allen Correcturen des Erwachsenen  aufrecht.
        Aus dem Mangel an Wissen erklären     sich Beobachtungen, wie die
        von Ament, dass ein Kind   die Kirschkerne als Bohnen bezeichnete
        (Ament 11, S. 18).  Die Wahrnehmung des Kindes ist hier nicht so
        unvollkommen, wie es scheint, wohl aber fehlt ihm die Kenntniss von
        dem, was die Kirschkerne und die Bohnen für den Erwachsenen —

        wegen ihrer Herkunft — zu ganz verschiedenen Objecten macht.
           Ein weiterer Beweis für den rein associativen Charakter dieser
        Sprachstufe liegt in der Beobachtung, dass die  »zufälligsten Begleit-
        erscheinungen« dem Kinde zu Hauptmerkmalen der Begriffe werden
        (Ament, S. 140).   Großmutter ist für das Kind alles, was sich eine
        Haube  aufsetzt.  Dem associativen  Charakter der  ersten Wortbe-
        deutungen entspricht ferner der rein reproductive Charakter des ersten
        Sprechens.  Jeder beliebige Reiz, der seine Aufmerksamkeit zu fesseln
        vermag, zwingt das Kind reflexartig zum Sprechen.  Wie die Bilder
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