Page 212 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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E. Meumann,
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       objectiv aufgenommen, so dass gewissermaßen bei der Wahrnehmung
       und Benennung eine Mittelstufe zwischen der normalen Assimilation
       des Erwachsenen und der Illusion des Geisteskranken stattfindet.
          Die Beispiele für diese Art der Benennung des Kindes lassen
       sich noch beträchtlich vermehren.  Sie zeigen immer wieder denselben
       Charakter, dass eine große Fülle verschiedenartiger Dinge scheinbar
       auf Grund  einer entfernten Aehnlichkeit mit dem gleichen Worte
      benannt werden, während in Wahrheit die Dinge des Erwachsenen
       gar nicht der Gegenstand der Bezeichnung sind.  Lindner's Knabe
      bezeichnete  anfangs  mit »papp«  alles Essbare, mit »mamm«   alles
      Trinkbare, mit »ga«  die Uhr und   alles, was ihr ähnlich sah,  z. B.
      einen Kompass.   Egg er  (S. 59)  erzählt von einem Ejnde, das mit
       »ta«  (table)  alles bezeichnete, was auf dem Tisch  ist,  »ati«  (assis)
       bezeichnet den Stuhl, das Tabouret, eine Bank, aber auch den Akt
      des Sichsetzens und  »Sitzens«, »pappa«  bezeichnet  alles, was dem
      Vater gehört.  Tracy   (S. 119) erwähnt, dass  ein Kind in der Zeit
      zwischen dem   18. und  24. Monat das Wort »poor« kennen lernte.
      Dieses war ursprünglich ein Ausdruck des Mitleids und wurde dann
      auf jede Art von Verlust oder Schaden angewendet,     ebenso aber
      auf  eine verbogene Nadel.   Bei  einem anderen Kinde    bedeutete
       »dam«  (verstümmelt aus Gum)  alle zerbrochenen oder beschädigten
      Sachen, und als das Kind das Wort »s'had< erlernt hatte (verstüm-
      melt aus thread), wurden  alle zerbrochenen Dinge  in zwei Classen
      getheilt: Solche, die mit »dam«, und solche, die mit »s'had« wieder-
      hergestellt waren.  Es ist völlig unmöglich hierbei anzunehmen, dass
      die  »Dinge«  so  bezeichnet  werden.  (Andere  ähnliche  Fälle  bei
      Tracy, S. 119.)  Ein Kind Mauthner's kannte      als  einziges Thier
      einen Hund, der »Wauwau« genannt wurde.    Als es zum ersten Male
      Hühner sah, nannte   es  diese  ebenfalls »wauwau«.  Auch hier liegt
       natürlich keine Begriffserweiterung vor, sondern es ist dieselbe Wahr-
      nehmung,   die den gleichen Namen   erhält,  die Wahrnehmung der
      selbständig sich bewegenden Thiere. Diese Bewegungsvorgänge fesseln
       die kindliche Aufmerksamkeit, und ihnen gilt die Benennung.  Nach
      dieser Analogie dürften nun alle die Beobachtungen zu erklären sein,
      welche  die erste Wortverwendung des Kindes betreffen: Kinder be-
      nennen den Mond    als Lampe;  die Worte Papa und Mama werden
       auf  alle weiblichen und männlichen Personen angewandt, »ba« (bath
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