Page 209 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde.  197

      auch jeder dem A ähnliche Eindi-uck die Vorstellung B reprodu-
      ciren kann.  Die Unbestimmtheit der Wahrnehmung des Kindes muss
      hierbei die Wirksamkeit jenes Aehnlichkeitsgesetzes noch wesentHch
      erleichtern!).  Dasjenige, was hierbei benannt wird, sind also gar nicht
      die verschiedenartigen Dinge (etwa  die sämmtlichen Insecten  oder
      Wein, Wasser, Teich und Bach), sondern nur jene Merkmale, rich-
      tiger jene Seiten oder Bestandtheile der Gesammtwahmehmung, mit
      welchen der Name hmk associirt ist.  Dass wirklich nicht diese hetero-
      genen Dinge benannt werden, sondern nur jene von dem Kinde ent-
      deckten Seiten der Dinge, geht auch daraus heiTor, dass das Kind
      die Objecte noch   gar  nicht  in der Fülle  ihrer differenten Eigen-
      schaften kennt, und wenn   es einige von diesen kennt,  so kann es
      diese Mannigfaltigkeit des Wahrnehmungseindrucks gar nicht beachten.
      Der Umfang seiner Aufmerksamkeit ist im zweiten Lebensjahre noch
      ein äußerst geringer.  Ferner wird seine Aufmerksamkeit durch das
      wenige, was es an Dingen bemerkt, völlig gefesselt und absorbirt, es
      kann daher gar nicht jene verscliiedenartigen Dinge benennen, son-
      dern nm* jene Seiten derselben, für welche ursprünglich die Bezeich-
      nung gewonnen wurde.    Man sieht nun   leicht, wodurch der Schein
      jener Allgemeinheit des Wortes entsteht.  Er entsteht dadurch, dass
      der Erwachsene nicht weiß, was von dem Kinde eigentlich benannt
      wird. Das Kind benennt die immer gleichen oder annähernd gleichen
      Bestandtheile des Eindrucks, welche die Wortreproduction veranlassen.
      Der Erwachsene schiebt ihm unter, dass    es  die ihm bekannten
      Dinge mit der Fülle ihi-er verschiedenen Eigenschaften benennt.  Der
      Akt der Benennung selbst kann hierbei den Charakter einer mecha-
      liischen Auslösung  der Reproduction,  durch den   wiedererkannten
      Wahmehmungsinhalt tragen.     Man   sieht zugleich,  dass der wahre
      Wortinhalt durchaus concreter Natur ist 2): Einige sinnfällige Seiten
      oder Theile der Objecte werden wiedererkannt und    vielleicht auch
      appercipirend vorgestellt, dagegen braucht der Worttnhalt in keiner
      Weise abstract oder allgemein zu  sein.  Was hierbei stattfindet, ist
      höchstens eine primitive Vorstufe der niederen »psychologischen«

          1) Vgl. Külpe, Grundriss der Psych. S. 197. 206 u. f. S.
          2) Man vergleiche die Ausführungen über concreto und abstracte Wortbedeu-
      tungen in meiner größeren Abhandlung über die Kindersprache.  Leipzig, Engel-
      mann, 1902.
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