Page 206 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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E. Meumann.
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werden. Die Deutung dieser Verwendung ist aber ein ganz besonders
schwieriger Punkt. Auf die Auffassung, welche Preyer, Lindner,
Compayre, Taine, Perez, Oltuszewsky u. a. geäußert haben,
gehe ich nicht näher ein, weil sie wiederum einfach die kindlichen
Worte als Begriffe auffassen, die durch logische Abstraction zu
Stande kommen. Diese Frage ebenso wie das bekannte auf dem
Psycholögencongress zu München verhandelte Problem, ob die kind-
lichen Begi'iffe anfangs Individualbegriffe oder Allgemeinbegriffe sind,
wird sich mit den folgenden Ausführungen von selbst erledigen.
Neuerdings aber hat sich eine andere Auffassung geltend gemacht,
welche die ersten Worte des Kindes als »Yorbegriffe« (Roman es)
oder »Urbegriffe« (Ament) bezeichnet. Damit soll gesagt sein, dass
diese »Vorbegriffe« und »Urbegriffe« in logischer Hinsicht eine völlige
Sonderstellung haben. Sie sind gewissermaßen weder Allgemein-
begriffe noch Individualbegriffe, sondern werden in einer Weise ver-
wendet, die beim Erwachsenen nicht mehr vorkommt. Nach Ament
sollen die Urbegriffe Bezeichnungen »undifferenzirter Sachvorstel-
lungen« sein. Eben wegen der mangelhaften Differenzirung des Inhalts
der Worte können nun die Worte in sehr allgemeiner Weise ver-
wendet werden und die Art ihrer Verwendung nennt Ament »Wort-
verallgemeinerung«. Etwas anderes wollte Roman es mit seinen
Vorbegriffen bezeichnen; die Vorbegriffe sollen eine Zwischenstufe
der kindlichen Erkenntniss bedeuten, auf welcher sich der kindliche
Intellect über die Stufe der allgemeinen thierischen Erkenntniss
erhebt, die aber noch nicht irgend etwas von specifisch-menschlicher
Erkenntniss an sich trägt (Romane s, S. 186 ff., S. 193). Diesen beiden
Auffassungen ist vielleicht das gemeinsam, dass es sich hier um
eine vorlogische Stufe der kindlichen Wortbedeutung handelt, nur
dass Ament durch seine irreführende Teiminologie und den unklaren
Ausdruck »Wortverallgemeinerung« diese richtige Erkenntniss wieder
verdeckt. Diese Auffassungen kommen daher mit der älteren haupt-
sächlich durch Preyer vertretenen darin überein, dass die ersten gegen-
ständlichen Wortbedeutungen des Kindes Namen von großer Allge-
meinheit des Umfangs sind und dass die Processe, durch welche die
Bedeutungen der Worte erworben werden, als Verallgemeinerungen zu
deuten sind. Ob man nun die Art der Verwendung der kindlichen
Worte, welche thatsächlich zur Bezeichnung einer großen Anzahl