Page 203 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde. 191
diesem Falle > Association durch Contrast« an. Ich gebe nicht zu,
dass es eine besondere Reproduction dui'ch Contrast gibt, und glaube,
dass hier einfach die in beiden Fällen gleiche Wirkung auf das Ge-
fühl (oder genauer das Unangenehme der extremen Temperatur) be-
zeichnet wird, wobei speciell der Affect (Grefühl) das Bezeichnung-
Weckende ist. Frey er ist nun der Ansicht, dass in solchen Fällen
eine Analogie zu jenem Gesetz der Sprachentwicklung beim Kinde
hervortritt, das Carl Abel (1876) als das »Gesetz des Gegensinns
der UrvN^orte« bezeichnet hat. Nach diesem »Gesetz« sollen in den
primitiven Sprachen die Urworte meist »Gegensätze« bezeichnen.
Frey er und ebenso Lindner nehmen dementsprechend an, das Band
»habe schon eine Ahnung davon, dass Gegensätze nur die Endglieder
ein und derselben Begriffsreihe sind«. Ich selbst finde darin weder
den »Gegensinn der Ui*worte«, noch die Ahnung eines begrifflichen
Verhältnisses, sondern eine Bezeichnung gewisser Gegensätze und
qualitativer Unterschiede nach ihrer gleichen Beziehung zum Gemüths-
und Willensleben des Kindes.
Die weiteren Beispiele mögen das zeigen. Lindner 's Knabe
erlernte im 10. Monat das Wort »auf« und bezeichnete damit sowohl
auf als ab. So bedeutet z. B. »Hut auf« sowohl die Aufforderung
zum Absetzen wie zum Aufsetzen des Hutes. In diesem Falle
bezeichnet das Wort »auf« augenscheinlich wieder das Begehren,
nämlich das Begehren nach einer Thätigkeit mit dem Hute, bei
welcher die beiden Seiten dieser Thätigkeit dem Kinde gleich inte-
ressant sind. Derselbe Knabe gebraucht das Wort »warm« auch
für »kalt«. Dieser Fall dürfte ebenso zu erklären sein wie Tracy's
»hot«. Frey er 's Knabe gebraucht das Wort »zuviel«, auch wenn er
sagen will »zu wenig«. Ein anderes Eand, das Frey er erwähnt,
gebraucht »nein« auch für »ja« ^).
Man muss hierbei beachten, dass das »zuviel« dem Kinde ebenso
unangenehm ist wie das »zuwenig«, das zu »wann« ebenso unan-
genehm wie das zu »kalt«.
1) Bei solchen Aequivocationen , wie der letztgenannten, mag auch vielfach
eine ungenaue Beobachtung vorliegen, indem die Kinder oft bei ihrer Wortarmuth
nur durch Tonfall oder Accentuirung die Bezeichnung verschieden machen. Vgl.
Gutzmann: Das Kind ist im Stande, dasselbe "Wort für mehrere verschiedenartige
Gedanken zu verwenden, indem es sie mit verschiedenartiger Betonung aus-
spricht (Gutzmann a. a. 0. S. 23).