Page 205 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde. 193
des Kindes, welche wirklich Gegenstände oder Vorgänge oder, was
viel seltner ist, Eigenschaften bezeichnen, sind noch Wortbedeutungen
der allerprimitivsten Art. Sie tragen nichts von einem begrifflich
logischen Charakter an sich. Sie sind rein associative Bildungen und
machen eine Sprachstufe aus, welche die kindlichen Wortbedeutungen
völlig unter der Herrschaft der Associationsgesetze zeigt. Ich nenne
diese die associativ-reproductive Stufe der kindlichen Wortbedeu-
tung und trenne sie scharf ab von der logisch begrifflichen, in welcher
die associativ gebildeten Wortbedeutungen allmählich zu Begriffen
umgestaltet werden. Was die Ursachen der Intellectualisirang der
Sprache betrifft, so reichen die bisherigen Beobachtungen nicht aus,
um darüber bestimmtere Angaben zu machen.
5. Die associativ-reproductive Sprachstnfe des Kindes.
Es liegt mir viel daran, das Wesen dieser Sprachstufe an der
Hand der Beobachtungen in einer Weise klar zu machen, die mög-
lichst unabhängig ist von der schwankenden logischen Terminologie.
Es kommt mir darauf an, zu beweisen, dass die ersten Wortbedeu-
tungen des Kindes, welche gegenständlichen Charakter tragen, tote
genere verschieden sind von jenen Wortbedeutungen, die der Er-
wachsene bildet und die wir als Producte einer logischen Thätigkeit
bezeichnen können. Ob man nun mit Erdmann unter Begriffen die
wissenschaftlich festgestellten Wortbedeutungen versteht oder ob man
mit Ament alle Wortbedeutungen Begi-iffe nennt (eine Terminologie,
die ich für irreführend halte), das ist für unsere Frage irrelevant.
Entscheidend ist, dass den ersten Wortbedeutungen des Kindes der
Charakter jener Thätigkeit fehlt, die mehr ist als ein bloß mechani-
sches Spiel associativer Processe, und die außer dem, was die Asso-
ciationsgesetze durch bloße Simultaneität und Contiguität oder durch
associative Uebertragung mit dem Worte verknüpfen noch eine
Thätigkeit der Zusammenfassung des Zusammengehörigen und der
Ausscheidung dessen, was nicht in den Wortzusammenhang passt,
verrathen.
Der Beweis für den associativen Charakter der ersten Wort-
bedeutungen, welche gegenständlicher Art sind, muss natürlich in der
Hauptsache aus der Ai't der Verwendung der Worte hergenommen
W u n d t , Pliilos. Studien. IX. 13