Page 198 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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E. Meumann.
       jgg
       zur Bezeichnung eines sehr weiten Umkreises von »Gegenständen«,
       und so wird jeder urtheilen, der das Schema von Wortvorstellungen
       und Gegenstandsvorstellungen  in  das kindliche Seelenleben hinein-
       deutet.  In Wahrheit  liegt nichts vor  als der Ausdruck eines Be-
       gehrens, richtiger vielleicht eines empfundenen physischen Bedürfnisses
       und  des  dadurch erweckten Begehrens.   Das appn   bedeutet also
       einfach: Ich habe Hunger und möchte das essen.
          Ueberall wo über die ersten kindlichen Worte und Vocabularien
       ProtocoU  geführt wurde,  tritt  dieser Wunschcharakter der ersten
       Worte hervor.  Die meisten Worte,   die Ament von seiner Nichte
       Louise aufzeichnete,  sind ganz offenbar Wunsch- und Begehrungs-
       worte, man kann    fast  beliebige Beispiele  herausgreifen (Ament,
       S. 63 u.  f.).  Das  Lallwort ^maynmam«-  bezeichnet am 354. Tage
       Brot und Brezelstückchen und wird einmal der Schwester entgegen-
       gerufen,  die dem Kinde solche schenkte, dann bezeichnet  es bald
       alle Speisen und Getränke.  Das Kind verlangt damit sein Abend-
       essen und es drückt seinen Unwillen darüber aus, dass die Schwester
       sein Spielzeug anfasste.  Ist dies nun eine »Wortverallgemeinerung« ?
       Es ist so deutlich als möglich, dass mammam der Ausdruck für das
       Begehren und Interesse des Kindes sein muss. Von einer Allgemein-
       heit im Sinne eines weiten Umfanges  solcher Lallworte kann nicht
       die Rede sein.  Ebenso war bei demselben Kinde das Wort *Papap<^
       der Ausdruck  freudiger Erregungen,  der  durch den Anblick der
       Mutter, der Kinderfrau, des Vaters, des Beobachters Ament selbst
       ausgelöst wurde.  Es  »bezeichnet«  aber ferner ein Bild, dann  alle
       großen männlichen und weiblichen Bildnisse an der Wand, die früher
       mit dem Worte Medi bezeichnet worden waren u.    s. w.  Papap ist
       offenbar ein Ausdruck der Freude über das Wiedererkennen mensch-
       licher Gestalten, die aber damit keineswegs bezeichnet werden.  Die
       Lallworte, welche das Kind von C. Stumpf zuerst selbständig ver-
       wendete, sind fast sämmtlich Wunsch-, Begehrungs- und Affectworte
       (Stumpf , S. 9 ff.).  Es ist bemerkenswerth, dass ein großer Theil der
       ersten Lallworte des Kindes nur scheinbar den Charakter von Benen-
       nungen oder Bezeichnungen trägt, indem der Anblick von Gegenständen
       das Kind vielfach zu ganz beliebigen Wortreproductionen veranlasst,
       welche in keiner Weise den Charakter der Bezeichnungen tragen. Von
       Benennungen kann daher nicht die Rede sein, wenn das lallende Kind
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