Page 193 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten "Wortbedeutungen beim Kinde.  181

      der Bedeutung solcher Aufforderungen und Fragen der erwachsenen
      Personen  sich mit  den  lautlichen Aeußerungen  der Erwachsenen
      zu verbinden.  Wir müssen jedoch nach allen jenen Proben, die be-
      weisen, durch welche elementaren geistigen Vorgänge der Schein eines
     höheren Sprachverständnisses zu Stande kommen kann      gerade den
                                                           ,
      intellectuellen Theil der "Wortbedeutungen und die Wahrnehmungen,
      aus denen  er hervorgeht, uns so einfach wie möglich denken.  Vor
      allem ist es ein Irrthum, den man gar nicht genug bekämpfen kann,
      dass das Kind seine Wahrnehmungen schon in dieser Zeit analysire
     und Merkmale abstrahire (Erdmann, Lindner u. a.).     Dazu reicht
      die Energie seiner Beobachtungen absolut nicht aus.           Die
     Wahrnehmung des Kindes betrifft nur die Gresanmitobjecte, nicht die
      einzelnen Eigenschaften oder Theile.  Was wir unter einer solchen
      Gesammtwahmelmiung    zu denken   haben,  ist  freilich für den Er-
     wachsenen schwer   vorstellbar.  Ich  verweise aber darauf, dass sich
     bei hochgradiger Idiotie  eine Stufe des  Intellects  feststellen  lässt,
      die  in  jeder Beziehung  der  kindlichen Wahrnehmung im   ersten
     Lebensjahr  gleicht.  Solche Idioten kennen  alle Objecte  ihrer Um-
     gebung;   sie  sind  aber  nicht im  Stande,  deren Eigenschaften  zu
     benennen   oder  zu  vergleichen.  Sie  zeigen  dabei  ebenso  wie  die
     Kinder   in  der Zeit  des  ersten Sprachverständnisses  die  typische
     Schwäche ihres Concentrationsvermögens, das sich nur für Secunden
     auf einen geistigen Inlialt concentrh-en kann (vgl. Störring a. a. O.).
     Einen   weiteren Beweis     für  diese  Auffassung  des  kindlichen
      Geisteslebens kann man aus den Vocabularieni) der Kinder ent-
     lehnen.  Das kindliche Vocabularium umfasst anfangs fast nur Sub-
      stantiva und Verba; die Gebrauchs Statistik der kindlichen Worte

     zeigt  ferner,  dass  in seinem Sprechen  die Verba absolut dominiren
      (Gale).  Die Bezeichnung von Eigenschaften dagegen   tritt  anfangs
      ganz zurück.  Die Adjectiva nehmen erst sehr viel später, im dritten
      und vierten Lebensjahr,  einen höheren Procentsatz der dem Kinde
      geläufigen Worte ein.

         1) Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass diese Vocabularien mit großer Vor-
      sicht gebraucht werden müssen, und weise deshalb auf das hin, was das Kind be-
      zeichnet.  Vgl. die berechtigte Kritik von Stumpf S. 29.  Uebrigens haben
      Tracy, Dewey und Gale diese Schwierigkeit, dass das Kind Substantiva zur
      Bezeichnung von Vorgängen und Eigenschaften gebraucht, schon bemerkt.
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