Page 199 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 199
Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde. 187
im Garten beim Anblick beliebiger Blumen oder sonstiger Objecte
beliebige Lallworte hervorstößt, die in keiner Weise zu constanten
Bezeichnungen erhoben werden (Ament), der Anblick der Objecte
und die Anregung zu Benennungen durch den Erwachsenen werden
dem Kinde Veranlassung, in vollkommen willkürHcher "Weise seinen
Sprechapparat functionu-en zu lassen. Für den erwachsenen Menschen
dient die Benennung der Objecte zur Fixirung für das Gedächtniss,
zum Wiedererkennen und Identificiren, von alledem ist offenbar
noch nichts vorhanden, wenn das in den ersten Sprachanfängen
stehende Kind behebige Lautcombinationen ausstößt, während ihm
Objecte gezeigt werden (gegen Ament, Seite 77). Als Bezeich-
nungen oder Benennungen können vielmehr nur diejenigen Lallworte
oder verstümmelten Nachahmungen der Worte Erwachsener angesehen
werden, die einigermaßen constant vei'wendet und eine Zeit lang
beibehalten werden. Grade diese in den dauernden Besitz des Kindes
übergehenden Worte zeigen nun anfangs stets den Charakter von
Wunsch- oder Begehrungsworten.
Sehr treffendes Material für meine Auffassung der ersten kind-
lichen Bezeichnungen steckt in Taine's Beispielen der ersten Worte
seiner Kinder (S. 290 u. 299 u. f.). Taine selbst deutet fi*eiUch zufolge
seiner logischen Auffassung der kindlichen Sprache dasselbe Material
intellectualistisch. Eines der frühesten Worte seines Knaben war
T>cola<^ für Chocolade. Chocolade war eine der ersten Näschereien,
die das Kind kennen lernte. Es zog sie bald allen anderen vor. Das
Wort cola wurde nun auf sämmthche Näschereien angewendet, auf
Zucker, Kuchen, Weintrauben, Pfii'siche, Feigen u. s. w. Nach der
Meinung von Taine ist das »begriffliche Verallgemeinerung« und
ganz naiv fügt der Autor selbst hinzu, dass alle diese verschieden-
artigen Dinge darin übereinstimmten, dass sie alle angenehm sind und
alle dasselbe Verlangen hervorrufen, nämlich die angenehme Empfin-
dung noch einmal durchzumachen. « »Nun gipfelt ein Verlangen, ein
Trieb von solcher Bestimmtheit leicht in einer Miene, einer Hand-
bewegung, einem Ausdruck, folghch einem Namen« (Seite 290). Ich
frage, was bezeichnet das Kind anderes mit cola als diesen Trieb,
dieses Verlangen? Soll man ihm die ungeheure psychische Leistung
zumuthen, das Gemeinsame so verschiedenartiger Dinge, wie des
Zuckers und der Pfirsiche, durch Abstraction herauszufinden oder