Page 211 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde. 199
nelimuiig sind, die ihm besonders auffallen müssen: die Beweglichkeit
und das rauhe Fell. >Beweglich« und »mit rauher Oberfläche« sind
also die Inhalte des Wortes *ass* und nun wiid das "Wort überall
da reproduch-t, wo diese Eindi'ücke oder einer derselben wiederkehren.
Da nun einerseits beweglich und rauh zwei nur äußerUch associativ
verbundene Eigenschaften sind, die an ganz heterogenen Gegenständen
wiederkehren und keine Classification im Sinne des Erwachsenen be-
gründen, und da das Wort »oäs« nun überall angewendet wird, wo
diese Eigenschaften vorhanden sind, so entsteht der Schein einer
fortschreitenden Verallgemeinerung des Begriffes oder des
Wortes »OÄS«; es entsteht femer der Schein, dass das Kind die
»Aehnlichkeit« ganz verschiedenartiger Dinge, wie des Ziegenbocks
und der eigenen Schwester, in Bezug auf diese Eigenschaft der Be-
weghchkeit herausfindet, dass es »Merkmale« abstrahire oder heraus-
löse aus einem Wahrnehmungsinhalt, der außer ümi noch viele andere
für das Kind ebenfalls appercipii-bare enthält. Das alles ist bloßer
Schein, der dui-ch die Art der Verwendung des Wortes erweckt wird.
Was das Kind in Wirklichkeit bezeichnet, sind nur diese beiden ihm
interessanten Seiten an seinem Wahrnehmungsinhalt: Das Bewegliche
und das Rauhe. Der Inhalt des Wortes ist also ein sehr ärmlicher,
aber ganz concreter. Zui- vollständigen Erklärung dieser Ai-t der
Wortverwendung des Kindes muss man noch eine allgemeine Eigen-
schaft des kindlichen Geistes hinzunehmen. Es übei*wiegen beim
Kinde in der Wahrnehmung die wenigen Apperceptionsmassen, über
die es verfügt, in viel höherem Maße über die Perception oder die
BQngabe an den objectiven Eindruck als beim Erwachsenen. Man
bemerkt noch bei dem sechs- und siebenjähi-igen Kinde, dass es beim
Lesen den objectiven Eindruck in viel höherem Maße dm-ch seine
Ei-wartungsvorsteUungen fälscht als der Erwachsene^). Ferner zeigt
das psychologische Experiment, dass zum objectiven Beobachten ein
viel größerer Energieaufwand der Aufmerksamkeit gehört als zur
apperceptiven Deutung des Wahrgenommenen. Dementsprechend
muss auch das Benennen und Bezeichnen des Kindes gedeutet werden.
Die Differenzen der Wahi-nehmungsinhalte werden viel weniger
1) Dies fanden wir speciell bei tachystoskopischen Versuchen über das Lesen
an sieben- und achtjährigen Kindern im Züricher psychologischen Institut.