Page 1017 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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unsrer Zeit, wenn sie über große Dinge zu entscheiden haben! Sie sollten
                lieber zusehen, wie man sich in ähnlichen Fällen in alter Zeit benommen
                hat. Aber bei der Schwäche der jetzigen Menschen, die nur die Folge

                ihrer schwächlichen Erziehung ist, und bei ihrer Unkenntnis halten sie
                die Maßregeln der Alten für unmenschlich und unausführbar. Einige
                dieser modernen Ansichten widersprechen völlig der Wahrheit, wie die,
                welche die klugen Köpfe unsrer Stadt vor einiger Zeit im Munde führten,
                man müsse Pistoja durch die Parteien und Pisa durch die Festungen
                behaupten. Sie sehen nicht ein, wie unnütz beides ist.
                     Ich will die Festungen beiseite lassen, da ich oben ausführlich davon

                sprach, Vgl. Buch II, Kap. 24. und nur die Nutzlosigkeit der Maßregel
                erörtern, die Städte, die man unter seiner Herrschaft hat, in Uneinigkeit
                zu erhalten. Erstens ist es unmöglich, mag man nun ein Fürst oder eine
                Republik sein, sich beide Parteien wohlgesinnt zu erhalten. Denn die
                Menschen ergreifen von Natur Partei, sobald ein Zwiespalt entsteht, und
                halten es mehr mit der einen als mit der andern. Ist also ein Teil der Stadt

                unzufrieden, so verliert man sie beim ersten Kriege, denn es ist
                unmöglich, eine Stadt zu behaupten, die innere und äußere Feinde hat. Ist
                der herrschende Staat eine Republik, so gibt es kein besseres Mittel, ihre
                eignen Bürger zu verderben und Zwiespalt in den Staat zu tragen, als
                eine uneinige Stadt unter sich zu haben. Denn jede Partei in der letzteren
                sucht sich in der Hauptstadt Gönner und macht sich durch verschiedene
                Bestechungsmittel Freunde. Daraus entstehen zwei sehr große

                Übelstände. Erstens wird man sich jene Stadt nie zum Freunde machen,
                denn bei dem häufigen Wechsel der Regierung hat bald diese, bald jene
                Gesinnung die Oberhand, man vermag sie also nie gut zu regieren, und
                zweitens greift die Parteileidenschaft auf die eigne Stadt über.
                     Biondo Flavio Biondo (1388-1463), berühmter Archäologe und
                Historiker, schrieb u. a. »Historiarum ab inclinatione Romanorum

                decades« nach dem Vorbild des Livius (bis etwa 1452). bestätigt dies,
                wenn er von Florenz und Pistoja sagt: »Während Florenz in Pistoja die
                Einigkeit herstellen wollte, spaltete es sich selbst.« Daraus ergibt sich
                leicht, welches Übel aus solchen Spaltungen entstehen kann! Als im
                Jahre 1502 Arezzo, das ganze Tiber- und Chianatal verloren ging, weil es
                von den Vitelli und dem Herzog von Valentinois Cäsar Borgia. S.
                Lebenslauf, 1502, und Buch I, Kap. 38. Der dort erwähnte Imbault, dem

                sich Arezzo ergab, wurde bald durch de Lanques abgelöst, von dem
                Machiavelli die Auslieferung der abgefallenen Städte an Florenz
                erwirkte. besetzt wurde, sandte der König von Frankreich einen Herrn de
                Lanques, um Florenz alle diese verlorenen Städte wieder zu verschaffen.





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