Page 1021 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neunundzwanzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Die Sünden der Völker kommen von den Fürsten.
Beschwere sich kein Fürst über die Sünden der von ihm regierten
Völker, denn diese Sünden entstehen nur aus seiner Nachlässigkeit, oder
weil er den gleichen Lastern ergeben ist. Betrachtet man die Völker,
denen man in unsrer Zeit Raubsucht und ähnliche Sünden vorwirft, so
wird man finden, daß sie nur von ihren Regenten stammen, die ebenso
waren. Vor der Ausrottung der kleinen Herrscher der Romagna durch
Papst Alexander VI. In den Jahren 1499-1503 eroberte Cäsar Borgia, der
Sohn Alexanders VI., die Romagna. war dies Land ein Schauplatz des
lasterhaftesten Lebenswandels, beim geringsten Anlaß kam es zu den
ärgsten Raub- und Mordtaten. Dies kam von der Verderbtheit der
Fürsten, nicht der verderbten Natur der Menschen, wie jene vorgaben.
Denn da diese Fürsten arm waren, doch wie Reiche leben wollten, waren
sie gezwungen, sich aufs Rauben zu legen und dies auf verschiedene Art
zu betreiben. Unter andern schändlichen Mitteln gaben sie Gesetze, die
irgendeine Handlung verboten. Dann gaben sie die erste Veranlassung zu
ihrer Übertretung, bestraften aber die Übertreter erst, wenn eine größere
Anzahl in die Falle gegangen war. Und zwar straften sie sie nicht aus
Eifer für das gegebene Gesetz, sondern aus Gier nach Einziehung der
Strafe. Daraus entstanden viele Übel, vor allem, daß das Volk verarmte,
ohne sich zu bessern, und daß die Verarmten sich an Schwächeren
schadlos zu halten suchten. Hieraus entsprang all das erwähnte Unheil,
dessen Ursache der Fürst war.
Wie wahr dies ist, zeigt Livius an folgendem Beispiel. Als die
römischen Gesandten dem Apollo das Geschenk aus der Beute von Veji
brachten, wurden sie von Seeräubern aus Liparis in Sizilien
gefangengenommen und in diese Stadt gebracht. Als ihr Fürst
Timasitheus hörte, was für ein Geschenk, für wen es bestimmt war und
wer es machte, benahm er sich, obwohl in Liparis geboren, wie ein
Römer. Er machte dem Volke klar, wie gottlos es sei, sich ein solches
Geschenk anzueignen, und ließ die Gesandten unter allgemeiner
Zustimmung mit all ihren Sachen ziehen. Livius V, 28 (393 v. Chr.)
gebraucht hier die Worte: Thimasitheus multitudinem religione
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