Page 1024 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Tüchtigkeit retten wird. Das war bei Camillus der Fall. Er hatte so viele
Proben seiner Tüchtigkeit abgelegt, war dreimal Diktator gewesen und
hatte dies Amt stets zum allgemeinen Besten, nicht zum eignen Vorteil
versehen, so daß man seine Größe nicht fürchtete und es nicht für
schimpflich hielt, sich einem so großen und berühmten Mann
unterzuordnen. Livius gebraucht daher auch weislich die Worte: Nec
quicquam usw.
Zweitens wird der Neid besiegt, wenn die Männer, die deine
Nebenbuhler um Ansehen und Größe waren, eines natürlichen oder
gewaltsamen Todes sterben. Denn solange sie dich in höherem Ansehen
als sich selbst sehen, können sie sich unmöglich ruhig verhalten und
Geduld üben. Sind es Bürger einer verderbten Republik, die keine gute
Erziehung gehabt haben, so kann kein Ereignis sie dahin bringen, daß sie
jemals zurücktreten. Um ihren Willen zu haben und ihren ungesunden
Ehrgeiz zu befriedigen, würden sie ruhig den Untergang ihres
Vaterlandes mit ansehen. Um diesen Neid zu besiegen, gibt es kein
andres Mittel als den Tod der Neider. Will das Glück dem
verdienstvollen Manne so wohl, daß sie eines natürlichen Todes sterben,
so wird er ohne Ärgernis berühmt, denn er kann dann ungehindert seine
Tüchtigkeit zeigen, ohne jemand ein Leid zu tun. Hat er aber dies Glück
nicht, so muß er sie auf alle Weise aus dem Wege zu räumen suchen, und
ehe er irgend etwas unternimmt, Maßregeln zur Beseitigung dieses
Hindernisses treffen.
Wer die Bibel mit Verstand liest, wird sehen, daß Moses, um seinen
Gesetzen und Einrichtungen Geltung zu verschaffen, viele Menschen
töten mußte, die sich bloß aus Neid seinen Plänen widersetzten. Diese
Notwendigkeit erkannten Bruder Girolamo Savonarola S. Lebenslauf,
1494. und Piero Soderini, S. Lebenslauf, 1502, sowie Buch III, Kap. 3
und 9. der Gonfalonier von Florenz, sehr wohl. Der Mönch war ihr nicht
gewachsen, weil er keine Gewalt zur Ausführung besaß und seine
Anhänger, die sie besaßen, ihn nicht recht verstanden. Gleichwohl ließ er
es an sich nicht fehlen, denn seine Predigten sind voller Anklagen und
Ausfälle gegen die Weisen der Welt, wie er die Neider und Gegner seiner
Einrichtungen nannte. Soderini glaubte, mit der Zeit durch Güte, durch
sein Glück, durch Wohltaten gegen einzelne den Neid zu besiegen. Er
war noch jung und sah sich mit so viel neuer Gunst überhäuft, die ihm
sein Benehmen erwarb, daß er alle, die sich ihm aus Neid widersetzten,
ohne Ärgernis, Gewalttaten und Unruhen zu überwinden glaubte. Er
wußte nicht, daß sich die Zeit nicht abwarten läßt, daß Güte nicht
hinreicht, daß das Glück wechselt und daß die Bosheit durch keine
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