Page 1028 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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war sie anders, so macht sie uns auch anders, und durch bessere
                Weltkenntnis mäßigt sie unsre Freude im Glück und unsern Kummer im
                Unglück. Was wir aber hier von einzelnen sagen, das gilt auch von

                vielen, die in einem Staatswesen zusammenleben; sie erlangen den Grad
                von Vollkommenheit, den die Lebensweise des Staates hat.
                     Ich habe zwar andernorts S. Buch I, Kap. 4; Buch II, Kap. 10 a.a.O.
                schon gesagt, daß ein gutes Kriegswesen die Grundlage aller Staaten ist
                und daß da, wo es fehlt, weder die Gesetze noch sonst etwas gut sein
                können, aber es scheint mir doch nicht überflüssig, es noch einmal zu
                wiederholen. In jedem Augenblick der römischen Geschichte tritt diese

                Notwendigkeit zutage. Man sieht, daß die Kriegsmacht nicht gut sein
                kann, wenn sie nicht geübt wird, und daß sie nicht geübt werden kann,
                wenn sie nicht aus Landeskindern besteht. Denn man führt nicht immer
                Krieg und kann ihn nicht immer führen, darum muß man sich in der
                Friedenszeit üben können, und der Kosten wegen ist das nur mit den
                eignen Landeskindern möglich.

                     Wie wir oben gesehen, war Camillus mit seinem Heer gegen die
                Etrusker gezogen. Als nun seine Soldaten die Größe des feindlichen
                Heeres sahen, verloren sie allen Mut und hielten sich für viel zu
                schwach, um den feindlichen Angriff aushalten zu können. Als die
                Verzagtheit des Heeres dem Camillus zu Ohren kam, ging er durch das
                Lager, sprach die einzelnen Soldaten an, brachte ihnen ihre Meinung aus
                dem Kopfe und sagte zuletzt, ohne eine weitere Anordnung zu treffen:

                Quod quisque didicit aut consuevit, faciet. Livius VI, 7 (386 v.
                Chr.) (Jeder tue, was er gelernt hat und gewohnt ist.) Wer diesen
                Ausspruch und die Worte erwägt, die er später zu ihnen sagte, als er sie
                zum Angriff ermutigte, wird einsehen, daß er dergleichen nur zu einem
                Heere sagen und mit ihm machen konnte, das im Frieden wie im Kriege
                organisiert und geübt war. Auf Soldaten, die nichts gelernt haben, kann

                ein Feldherr sich nicht verlassen, noch kann er glauben, sie würden
                etwas Tüchtiges leisten. Und wenn sie ein neuer Hannibal führte, so
                würde er durch sie unterliegen. Denn ein Feldherr kann während der
                Schlacht nicht überall sein; hat er also nicht vorher für Leute gesorgt, die
                von seinem Geiste durchdrungen sind und seine Anordnungen und die
                Art seiner Kriegführung kennen, so muß er notwendig geschlagen
                werden.

                     Wird also eine Stadt so bewaffnet und eingerichtet wie Rom und
                haben ihre Bürger täglich im einzelnen und im ganzen Gelegenheit, ihre
                Tapferkeit und die Macht des Glückes zu erproben, so werden sie stets
                und in jeder Lage den gleichen Mut und die gleiche Würde bewahren.





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