Page 1027 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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sieht man, daß schwere Zeiten sie nicht entmutigen noch erniedrigen
                konnten. Ebenso machten glückliche Zeiten sie nicht übermütig. Vor der
                verlorenen Schlacht König Antiochos von Syrien wurde 189 v. Chr. von

                L. Cornelius Scipio, dem Bruder des Besiegers des Hannibal, bei
                Magnesia geschlagen. schickte Antiochos Gesandte an Scipio, um einen
                Vergleich zu erbitten. Scipio stellte die Friedensbedingungen, der König
                sollte sich nach Spanien zurückziehen und das übrige den Römern
                überlassen. Antiochos schlug den Vergleich aus, verlor die Schlacht und
                schickte von neuem Gesandte mit dem Auftrag, alle Bedingungen des
                Siegers anzunehmen. Scipio aber stellte keine andern Bedingungen als

                vor dem Siege und fügte hinzu: Quod Romani, si vincuntur, non
                minuuntur animis, nec si vincunt insolescere solent. (Die
                Römer werden in der Niederlage nicht kleinmütig und im Siege nicht
                übermütig.)
                     Ganz das Gegenteil sah man bei Venedig. Im Glücke, das es durch
                eine Tapferkeit, die es nicht besaß, errungen zu haben wähnte, war es so

                übermütig, daß es den König von Frankreich einen Sohn von St. Markus
                nannte, die Kirche nicht achtete, überhaupt Italien zu eng für sich fand
                und von einem Weltreich wie Rom träumte. Als dann das Glück
                umschlug und es bei Vailà S. Lebenslauf, 1509. eine halbe Niederlage
                erlitt, verlor es nicht allein durch Aufstände sein ganzes Gebiet, sondern
                trat auch ein gutes Teil davon an den Papst und den König von Spanien
                aus Feigheit und Erbärmlichkeit ab. Ja, es demütigte sich so tief, daß es

                Gesandte an den Kaiser schickte, um sich ihm tributpflichtig zu machen,
                und an den Papst Briefe voller Feigheit und Unterwürfigkeit schrieb, um
                sein Mitleid zu erwecken. In diese unglückliche Lage kam es binnen vier
                Tagen und nach einer halben Niederlage. Denn auf dem Rückzuge mußte
                das Heer sich noch einmal zum Kampfe stellen und verlor etwa die
                Hälfte seiner Leute, so daß der eine Provveditore sich rettete und mit

                über 25 000 Mann zu Fuß und zu Pferde nach Verona kam. Hätte man
                also in Venedig noch eine Spur von Mut gehabt und etwas herzhafte
                Anordnungen getroffen, so hätte man sich leicht wieder erholt und dem
                Schicksal von neuem die Stirn bieten können, um bei Gelegenheit
                entweder zu siegen oder rühmlicher zu unterliegen, oder einen
                ehrenvolleren Frieden zu schließen. Aber ihre Feigheit, die Folge ihrer
                schlechten Einrichtungen im Kriegswesen, brachte die Venezianer mit

                einem Schlage um Herrschaft und Mut. Jedem, der es wie sie macht,
                wird es ebenso ergehen. Denn der Übermut im Glück und der Kleinmut
                im Unglück entsteht aus unserm Benehmen und aus der Erziehung, die
                wir genossen. War sie schwächlich und eitel, so macht sie uns ebenso;





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