Page 1026 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Einunddreißigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                 Starke Republiken und ausgezeichnete Männer bewahren im Glück
                          und Unglück den gleichen Mut und die gleiche Würde.


                Unter andern herrlichen Dingen, die unser Geschichtsschreiber den
                Camillus sagen und tun läßt, um an ihm die Eigenschaften eines großen

                Mannes zu zeigen, legt er ihm auch die Worte in den Mund: Nec mihi
                dictatura animos fecit, nec exilium ademit. VI, 7. (Die Diktatur

                hat meinen Mut nicht erhöht und die Verbannung ihn nicht gebrochen.)
                Man ersieht daraus, daß große Männer in jeder Lage die gleichen sind.
                Mag sie der Wechsel des Glücks erhöhen oder erniedrigen, sie ändern
                sich nie, sondern bleiben stets standhaft und so völlig ihrer Lebensweise
                getreu, daß jeder leicht erkennt, daß das Glück nichts über sie vermag.

                Anders benehmen sich schwache Menschen. Das Glück berauscht sie
                und macht sie eitel, da sie alles Gute Tugenden zuschreiben, die sie
                niemals besaßen. Infolgedessen werden sie allen, die um sie sind,
                unerträglich und verhaßt. Daher kommt dann der plötzliche Wechsel
                ihres Schicksals, und wenn sie diesen vor Augen sehen, fallen sie sofort
                in den entgegengesetzten Fehler und werden feig und erbärmlich.
                Fürsten dieser Art denken im Unglück mehr an Flucht als an Widerstand,

                da sie ihr Glück schlecht benutzt und sich auf keine Verteidigung
                eingerichtet haben.
                     Diese Tugend und dies Laster, die man bei einzelnen Menschen
                findet, gibt es auch bei Republiken. Ein Beispiel bieten Rom und
                Venedig. Die Römer machte kein Mißgeschick jemals erbärmlich und
                kein Glück übermütig.

                     Das zeigt sich deutlich nach der Niederlage bei Cannae und dem Sieg
                über Antiochos. Die Niederlage war sehr schwer, denn es war die dritte,
                aber sie verzagten doch nicht, schickten Heere aus, wollten ihre
                Gefangenen nicht auswechseln, weil es ihren Grundsätzen widersprach,
                und baten weder Hannibal noch Karthago um Frieden. An alle jene
                Erbärmlichkeiten dachten sie nicht, sondern nur an den Krieg, und aus
                Mangel an Leuten bewaffneten sie die Greise und Sklaven. Als Hanno

                dies erfuhr, stellte er, wie oben gesagt, dem karthagischen Senat vor, wie
                wenig auf den Sieg bei Cannae zu geben sei. S. Buch II, Kap. 30. So





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