Page 1014 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Sechsundzwanzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                     Wie durch Frauen ein Staat zugrunde gerichtet werden kann.


                In der Stadt Ardea entstand zwischen den Patriziern und Plebejern wegen
                einer Familiensache ein Bürgerkrieg. Livius IV, 9 (442 v. Chr.) Eine
                Erbin war zu verheiraten, um die sich ein Patrizier und ein Plebejer

                bewarb. Da sie keinen Vater mehr hatte, wollten ihre Vormünder sie dem
                Plebejer, ihre Mutter aber dem Adligen geben. Hierüber entstand ein
                solcher Aufruhr, daß man zu den Waffen griff, wobei der ganze Adel für
                den Adligen, das ganze Volk für den Plebejer eintrat. Das Volk zog den
                kürzeren, verließ Ardea und suchte Hilfe bei den Volskern; der Adel
                wandte sich nach Rom. Die Volsker kamen zuerst an und belagerten

                Ardea. Nachher kamen die Römer und schlossen die Volsker zwischen
                der Stadt und sich so eng ein, daß sie sich aus Hunger auf Gnade und
                Ungnade ergeben mußten. Danach drangen die Römer in Ardea ein,
                töteten alle Häupter des Aufstandes und legten den Streit bei.
                     Hierzu ist verschiedenes zu bemerken. Erstens sieht man, daß die
                Frauen die Quelle manches Unheils gewesen sind und den Staatsleitern
                viel Schaden zugefügt und viele Zwistigkeiten verursacht haben. So

                sahen wir schon in unsrer Geschichte, wie der an Lucretia begangene
                Frevel die Tarquinier um die Herrschaft brachte und die Schändung der
                Virginia die Zehnmänner stürzte. Aristoteles Politik, VIII, 9, 13 zählt
                unter die Hauptursachen für den Sturz der Tyrannen Frauenschändung,
                Notzucht und Ehebruch, wie wir es in unserm Kapitel von den

                Verschwörungen ausführlich gezeigt haben. S. Buch III, Kap. 6. Ich sage
                also, daß die unumschränkten Fürsten und die Leiter der Republiken
                diesen Punkt nicht gering achten dürfen. Vielmehr müssen sie die
                Wirren, die durch solche Vorfälle entstehen können, ins Auge fassen und
                beizeiten Mittel dagegen anwenden, damit das Mittel nicht zum Schaden
                und Schimpf ihrer Regierung oder ihrer Republik ausschlägt. So erging
                es den Ardeaten, die den Streit unter ihren Bürgern so hatten anwachsen
                lassen, daß es zum offenen Bruch kam und sie zur Wiederherstellung der

                Einigkeit Hilfe von auswärts herbeirufen mußten, was ein großer Schritt
                zur Knechtschaft ist. Kommen wir jedoch zu dem andern





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