Page 630 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Sonst aber ist es durchaus unerlaubt, daß ein Gatte seine Frau
                deswegen verstoße weil sie durch einen Unfall körperlichen Schaden
                nimmt, wenn sie sonst keinerlei Schuld trifft das hält man für eine

                Grausamkeit, jemand preiszugeben und zu verlassen, wenn er gerade am
                meisten des Trostes bedarf und daß dem Alter, wo sich Krankheiten
                einstellen, ja das eine Krankheit selber ist, die gelobte Treue von dem
                anderen Theile gebrochen wird.
                     Uebrigens kommt es zuweilen vor, daß, wenn die Gatten ihren
                Charaktereigenschaften nach schlecht zusammenpassen, sobald sie Jeder
                eine andere Partie gefunden haben, in welcher sie glücklicher leben zu

                kommen hoffen, sich freiwillig trennen und beiderseits neue Ehen
                eingehen, allerdings nicht ohne die Ermächtigung des Senates dazu, der
                eine Ehescheidung nicht zugibt, bevor er nicht selbst und unter
                Zuziehung der Ehefrauen seiner Mitglieder den Fall gründlich ventilirt
                hat. Doch auch dann wird die Sache nicht leichtlich zugelassen, denn sie
                wissen sehr wohl, daß es nicht zur Befestigung der Gattenliebe beiträgt,

                wenn die begründete Aussicht besteht, eine neue Ehe schließen zu
                können.
                     Ehebrecher werden mit der härtesten Sklaverei bestraft, und wenn
                keiner von beiden Theilen unverheirathet war, können sich die jungen
                Ehegatten, denen durch den Ehebruch Unrecht geschehen, gegenseitig
                heirathen, indem sie den schuldigen Theil verstoßen, oder sonst wen sie
                wollen zum Gatten nehmen.

                     Wenn aber Mann oder Frau, die in dieser Weise verletzt worden sind,
                zu dem betreffenden Gatten, der es so wenig verdient, noch immer Liebe
                hegt, so tritt das Gesetz dem Fortbestände der Ehe nicht entgegen, wenn
                er dem zur Arbeit verurtheilten anderen Theile folgen will; es kommt
                übrigens zuweilen vor, daß die Reue des einen Theils und das ernstliche
                Bestreben des andern das Mitleid des Fürsten erregt und die Freiheit des

                Schuldigen erwirkt.
                     Einen Rückfälligen trifft der Tod.
                     Für die übrigen Verbrechen stellt kein Gesetz bestimmte Strafen ein
                für allemal fest, sondern je nachdem das Verbrechen häßlicher Art ist
                oder nicht, entscheidet der Senat über die Strafe. Die Ehemänner strafen
                die Gattinen und die Eltern die Kinder, wofern sie nicht etwas so Arges
                begangen haben, daß ein Interesse vorliegt, öffentliche Bestrafung

                eintreten zu lassen.
                     Fast alle sehr schweren Verbrechen werden mit Sklaverei bestraft
                und man hält das für die Verbrecher selbst für nicht minder schlimm und
                dem Staate für vortheilhafter, als die schuldigen abzuschlachten und sie





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