Page 635 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Dieses, wie gesagt treulose Gebahren der Fürsten, die dort ihre
                Verträge so schlecht halten, ist, glaube ich, die Ursache davon, daß die
                Utopier überhaupt keine eingehen, indem sie ihre Ansicht vielleicht

                ändern würden, wenn sie in unserem Erdtheile lebten. Und wenn es
                ihnen auch dünkte, daß die Bündnisse noch so treu gehalten würden, so
                halten sie es doch für eine üble Gewohnheit, überhaupt welche
                einzugehen, die nur zur Folge hat, daß die Menschen sich gegenseitig als
                natürliche Gegner zur Feindschaft geboren betrachten (als ob ein Volk
                mit einem anderen Volke, von dem es nur der schmale Raum eines
                Hügels oder Flusses trennt, durch kein geselliges Band mehr verknüpft

                wäre) und mit gegenseitiger Vernichtung gegen einander wüthen zu
                müssen glauben, wofern sie nicht Bündnisse schlössen, die sie daran
                verhindern sollen; doch selbst, wenn sie ein Bündniß mit einander
                geschlossen haben, erwächst nicht einmal eine eigentliche Freundschaft
                daraus, sondern es bleibt immer noch Gelegenheit zu Raub und
                Erbeutung, insofern durch ihre Unklugheit bei Abfassung des

                Bündnisses keine vorsichtige Klausel in die Verträge aufgenommen
                worden ist, welche eine solche Möglichkeit von vornherein ausschließt.
                     Aber sie sind der entgegengesetzten Meinung, nämlich, daß Niemand
                als Feind zu erklären sei, von dem uns kein feindliches Unrecht
                widerfahren ist. Die Bande der natürlichen Gemeinschaft ersetzten jeden
                Bündnißvertrag und die Menschen seien sicherer und wirksamer durch
                den Zug gegenseitigen Wohlwollens, als durch Verträge, mehr durch das

                Gemüth, als durch leere Worte mit einander verbunden.







































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