Page 639 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Denn gar oft schon, wie feststeht, hat es sich ereignet, daß ein großer
                Theil der so Bezeichneten und vor Allen der Fürst selbst, von
                Denjenigen verrathen würden sind, auf die sie das größte Vertrauen

                gesetzt hatten.
                     So leicht verleiten Bestechungen zu jedem beliebigen Verbrechen,
                und in der Höhe solcher Spenden gibt es für die Utopier keine grenze.
                Weil sie sich aber dessen wohl bewußt sind, wie groß die Gefahr ist, in
                welche sich die so Aufgeforderten begeben, so sind sie beflissen, die
                Größe dieser Gefahren durch eine reiche Fülle der dafür gewährten
                Wohlthaten aufzuwiegen und versprechen nicht nur unermeßliche

                Schätze an Gold, sondern auch Grundstücke, die ein glänzendes
                Erträgniß abwerfen und in Freundesland so sicher als möglich gelegen
                sind, zu ewigem Besitz, was sie Alles auch mit der denkbar höchsten
                Treue halten.
                     Dieser Gebrauch, den Feind als ein Versteigerungs und
                Verlaufsobjekt zu behandeln, gilt bei andern Völkern als verwerflich, als

                eine schändliche Handlungsweise eines entarteten, grausamen Gemüths,
                sie aber dünken sich deswegen ob ihrer gar hohen Klugheit lobenswerth,
                da sie auf diese Weise dem größten Kriege alsbald ohne
                Schlachtengemetzel ein Ende bereiten, ja sie halten sich aus diesem
                Grunde sogar umgekehrt für menschlich und mitleidvoll gesinnt, weil sie
                um den preis des Todes weniger Schuldigen zahlreiche unschuldige
                Leben vom Untergange loskaufen, die sonst in den Schlachten

                umgekommen wären. Und zwar theilweise die Leben ihrer eigenen
                Volksangehörigen, theilweise aber auch solche aus den Reihen der
                Feinde, deren gemeines Volk sie nicht in geringerem Maße bedauern, als
                ihre eigenen Landsleute, da sie wohl wissen, daß dieses den Krieg nicht
                von freien Stücken angefangen hat, sondern durch die rasende
                Leidenschaft seines Fürsten dazu getrieben wird.

                     Kommen sie aus dem angegebenen Wege nicht zum Ziele, so streuen
                sie den Samen der Zwietracht unter den Feinden aus und nähren
                dieselbe, indem sie in dem Bruder des Fürsten oder in einer
                Persönlichkeit aus dem hohen Adel die Hoffnung erwecken, daß er sich
                des Reiches bemächtigen könne.
                     Verspricht auch dieses Verfahren innerer Parteizerklüftung leinen
                Erfolg, so stacheln sie die dem Feinde benachbarten Nationen auf und

                setzen sie gegen ihn Bewegung, unter dem Vorwande eines alten
                ausgegrabenen Rechtstitels, um welche ja Könige nie verlegen sind,
                geben die Zusage ihrer eigenen Streitkräfte im Kriege und gewähren im
                reichsten Maße Hilfsgelder. Unter jenen senden sie von eigenen Bürgern





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