Page 636 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vom Kriegswesen.



                                                  Inhaltsverzeichnis




                Den Krieg verabscheuen die Utopier als etwas geradezu Bestialisches,
                womit sich gleichwohl keine Gattung wilder Thiere so häufig zu
                schaffen macht, wie der Mensch; und entgegen den Sitten fast aller
                andern Völker halten sie nichts für so unrühmlich, als den im kriege

                erstrebten Ruhm; nichts destoweniger jedoch üben sie sich sehr eifrig in
                soldatischer Zucht, und zwar nicht nur die Männer, sondern an
                bestimmten Tagen auch die Frauen, damit im Falle der Noth auch sie
                zum Kriege nicht untüchtig sind.
                     Sie beginnen einen solchen aber nicht blindlings sondern entweder
                um ihre Grenze zu schützen, oder um die das Gebiet ihrer Freunde

                überschwemmenden Feinde zurückzuschlagen oder um irgend ein von
                Tyrannei bedrücktes Volk, dessen sie sich erbarmen, vom Joche eines
                Tyrannen und von der Sklaverei zu befreien, was sie aus purer
                Menschenliebe unternehmen.
                     Wiewohl sie den Freunden im Punkte der Hilfe zu Willen sind,
                geschieht dies nicht immer nur zu deren Vertheidigung, sondern sie
                gewähren die Hilfe zuweilen auch, damit diese zugefügtes Unrecht

                vergelten oder vergelten können; dieses aber thun sie nur dann, wenn sie
                gleich von Anfang an um Rath gefragt werden, die Sache als eine
                gerechte gebilligt haben und die zurückverlangten Dinge nicht wieder
                zurückerstattet worden sind; dann eröffnen die Utopier selbst den Krieg,
                wozu sie sich nicht bloß dann entscheiden, wenn bei einem feindlichen

                Einfalle Beute weggeführt worden ist, sondern noch viel energischer,
                wenn ihre Kaufleute bei irgend einem Volke entweder unter dem
                Vorwande unbilliger Gesetze oder durch üble Auslegung guter Gesetze,
                unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit verläumderisch angeklagt
                werden.
                     Das und nichts Anderes war die Ursache des Krieges, den die
                Utopier kurz vor unserer Zeit für die Nephelogeten gegen die
                Alaopoliten geführt haben, nämlich ein den Kaufleuten der

                Nephelogeten bei den Alaopoliten unter dem Vorwand rechtens
                zweifellos zugefügtes Unrecht – so erschien es den Utopiern.
                     Aber ob nun mit Recht oder Unrecht, die Sache ist durch einen so
                grausamen Krieg gerächt worden, indem zu den Streitkräften der Gegner
                auf beiden weiten sich der Haß und die Hilfskräfte der benachbarten





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