Page 632 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Schönheit allein gewonnen wird, so wird doch ein Mann durch nichts
Anderes als Tugend und Gehorsam auf die Dauer festgehalten.
Sie schrecken aber von der Begehung von Missethaten nicht bloß
durch Strafen ab, sondern ermuntern auch durch ehrende Belohnungen
zu tugendhaftem Wandel; daher errichten sie ausgezeichneten und um
den Staat rühmlich verdienten Männern Standbilder auf dem Forum, zum
Gedächtniß preiswürdiger Thaten, sowie zu dem Zwecke, daß der Ruhm
ihrer Vorfahren ihren eigenen Nachkommen Sporn und Anreiz zur
Tugend sei Wer, vom Ehrgeiz gestachelt, sich um ein obrigkeitliches
Amt bewirbt, geht der Anwartschaft auf ein solches überhaupt verlustig.
Es herrscht ein freundlich wohlwollendes Wesen im Verkehre des Volkes
mit den Behörden: keine Obrigkeit ist unverschämt oder grimmig daher
werden sie Väter genannt und gebärden sich wie solche; die schuldigen
Ehren werden ihnen freiwillig erwiesen, sie brauchen nicht
Widerstrebenden abgezwungen zu werden.
Nicht einmal der Fürst zeichnet sich durch seine Kleidung oder ein
Diadem aus, sondern es wird bloß eine Garbe Getreides vor ihm
hergetragen. Ebenso ist eine ihm vorgetragene Wachskerze die einzige
Auszeichnung des Oberpriesters.
Gesetze gibt es nur sehr wenige, aber bei ihren vortrefflichen
Einrichtungen genügen diese auch. Denn was sie bei andern Völkern
hauptsächlich tadeln, das ist daß sich unzählige Folianten von Gesetzen
und Kommentaren derselben immer noch als unzulänglich erweisen. Sie
betrachten es als die größte Unbilligkeit, daß Gesetze für die Menschen
verbindlich sind, deren Anzahl entweder größer ist, als daß die Leute sie
durchzulesen vermöchten, oder dunkler und unklarer, als daß sie von
jemand verstanden werden könnten; daher sind die Advokaten, welche
einen Rechtsfall arglistig behandeln und über die Gesetze verschmitzt
disputiren, bei ihnen sämmtlich ausgeschlossen, denn sie halten es für
rathsamer, daß Jeder seine Sache selbst führe und dem Richter direkt
mittheile, was er einem Rechtsbeistand sagen würde. So gebe es weniger
Weitläufigkeiten und die Wahrheit komme leichter an den Tag, weil,
wenn Einer spreche, dem der Advokat keine Kniffe beigebracht habe,
der Richter jedes schlichte Wort aus seinem Munde gründlicher erwägt
und naiven Geistern gegen die abgeseimten Entstellungen des wahren
Sachverhaltes zu Hilfe kommt. Dies Verfahren zu beobachten, ist bei
andern Völkern mit einem Wuste verworrener Gesetze nur schwer
möglich.
Uebrigens ist bei ihnen jeder Einzelne gesetzeskundig. Denn wie
gesagt, es gibt der Gesetze nur sehr wenige und die simpelste Auslegung
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