Page 640 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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nur sehr wenige ab, von denen das Leben jedes Mannes so hoch gilt und
                die sie so lieb haben, daß sie wohl den einfachsten Mann nur ungern
                gegen den feindlichen Fürsten selbst ausliefern würden.

                     Gold und Silber aber, dessen sie sich ja nur zu jenem einzigen
                Zwecke bedienen, geben sie leichten Herzens aus; würde doch nicht ein
                Einziger deswegen eine schlechtere Lebenshaltung zu führen haben, und
                wenn sie auch ihren ganzen Vorrath an Edelmetallen aufwendeten.
                     Außer ihren einheimischen Reichthümern aber besitzen die Utopier
                auch noch unermeßliche Schätze im Auslande, weil die meisten Volker,
                wie ich früher gesagt habe, ihnen verschuldet sind, weshalb sie von

                überall her Söldner in den Krieg zu schicken in der Lage sind,
                hauptsächlich von den Zapoleten.
                     Dieses Volk lebt fünfhunderttausend Schritt östlich von Utopia, ist
                abstoßend häßlich, barbarisch, wild, und gibt seinen heimischen
                Gebirgen und Wäldern, in denen es geboren ist, den Vorzug vor jedem
                andern Aufenthalte. Ein abgehärtetes Volk, erträgt es Hitze und Kälte,

                sowie Strapazen gut, ist aller und jeder Lebensgenüsse unkundig,
                befleißigt sich weder des Ackerbaus, noch wohnt es in Gebäuden, kleidet
                sich sehr primitiv und ist bloß der Schafzucht ergeben. Zum größten
                Theile leben die Zapoleten von der Jagd und vom Raube.
                     Ausschließlich zum Kriege geboren, suchen sie auf jegliche Weise
                nach der Gelegenheit dazu, werfen sich begierig auf jede sich ihnen
                darbietende, marschiren in hellen Hausen aus dem Lande und bieten sich

                jedem Staate, der solcher Hilfe benöthigt ist, um geringen Gold an.
                     Dies ist das einzige Gewerbe, wovon sie leben und das sie kennen,
                und dieses ist eins, durch das der Tod bereitet wird; aber für die, in deren
                Gold sie Dienste leisten, kämpfen sie mit Eifer und mit
                unerschütterlicher Treue.
                     Aber sie binden sich nicht für einen bestimmten Tag, sondern

                ergreifen nur unter der Bedingung Partei, daß sie bereits am nächsten
                Tage zu den Feinden übergehen können, wenn ihnen diese höheren Gold
                bieten, und den übernächsten Tag wieder zurückkehren, wenn ihnen von
                der alten Partei eine Kleinigkeit mehr geboten wird.
                     Selten bricht ein Krieg aus, in dem nicht eine beträchtliche Menge
                Zapoleten in beiden Heeren einander feindlich gegenüberstehen, und
                somit ereignet es sich tagtäglich, daß durch Bande des Blutes

                Verbundene, die heute noch auf derselben Seite zusammentreffend, in
                innigster Kameradschaft lebten, kurz darauf von einander gerissen,
                indem sie zu entgegengesetzten Truppenkörpern kommen, als Feinde
                gegen einander losgehen müssen, und mit verhetzten Gemüthern, ihrer





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