Page 643 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Der Lebensunterhalt ist einem Jeden zu Hause sicher, die bange
                Sorge um die Zukunft der Nachkommenschaft ist von ihnen genommen
                – denn diese Bekümmerniß ist es, die überall die Schwungkraft der

                hochherzigen Geister bricht – und so steigert sich ihr Muth zu solcher
                Erhabenheit, daß sie es nicht ertrügen, besiegt zu werden.
                     Zudem erhöht ihre Erfahrenheit in militärischen Dingen ihre
                Zuversicht und endlich befeuern die gediegenen Anschauungen, die sie
                theils durch den Unterricht, theils zufolge der vortrefflichen
                Einrichtungen ihres Staatswesens von Kindheit auf eingesogen haben,
                ihre Tapferkeit, wenn auch nicht in dem Maße, daß sie ihr Leben gering

                schätzten und leichtsinnig in die Schanze schlügen, aber andererseits
                doch so, daß sie nicht schimpflich feige daran hängen, um sich, wenn die
                Ehre räth, es aufs Spiel zu setzen schändlich daran zu klammern.
                     Wenn der Kampf auf dem ganzen Schlachtfelde am heftigsten tobt,
                setzen sich auserlesene verschworene Jünglinge, die sich dem Tode
                geweiht haben, den Feldherrn zum Ziel und greifen ihn bald offen an,

                bald stellen sie ihm hinterlistig nach; ihm gilt es von nahe und ferne; der
                Angriff auf ihn wird in Form eines langen, immer wieder neugebildeten
                Keiles unternommen, in den rastlos frische Kämpfer an Stelle der
                ermüdeten einspringen.
                     Nur selten ist es der Fall, daß er nicht umkommt, oder lebendig in die
                Gewalt seiner Feinde fällt, wofern er nicht sein Heil in der Flucht sucht.
                     Wenn der Sieg von ihnen erfochten wird, schwelgen sie nicht in der

                Niedermetzelung der Feinde; sie nehmen die Fliehenden lieber gefangen,
                als daß sie sie umbringen; auch verfolgen sie die Geschlagenen nicht so
                blindlings, als daß sie nicht immer noch eine in Schlachtordnung
                aufgestellte Heeresabtheilung unter ihren Fahnen bereit hielten. So zwar,
                daß sie, wofern nicht die übrigen Heereskörper besiegt sind, und sie erst
                mit ihrer letzten Schlachtlinie den Sieg errungen haben, lieber die

                gesammten Feinde entrinnen ließen, als daß sie den Fliehenden
                nachsetzen und ihre eigenen Reihen zu verwirren sich angewöhnen.
                     Sie sind sehr wohl dessen eingedenk, wie es sich mehr als einmal
                zugetragen hat, daß, wenn das gesammte Gros ihres Heeres besiegt und
                in die Flucht geschlagen war, und die Feinde, über ihren Sieg
                frohlockend, hierhin und dorthin zur Verfolgung auseinander stoben,
                ihrer nur Wenige, die in einem Hinterhalt gelegt waren und auf die

                passende Gelegenheit warteten, die Zerstreuten und aus der
                Schlachtordnung Schwärmenden, die aus dem Gefühl allzu großer
                Sicherheit alle Vorsicht vernachlässigt hatten, plötzlich hervorbrachen
                und dem Ausgang des Gesammttreffens eine andere Wendung gaben,





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