Page 648 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Als sie aber nachmals von uns den Namen Christi, seine Lehre, seine
                Sitten, Wunder vernahmen, sowie die nicht minder bewundernswerthe
                Standhaftigkeit so vieler Märtyrer, wie deren freiwillig vergossenes Blut

                so zahlreiche Volker weit und breit zu seinem Bekenntniß übergeführt
                habe – da war es schier nicht zu glauben, mit wie willigem Gemüthe
                auch sie zum Christenthum übertraten, es sei Solches nun geschehen
                durch Götter heimliche Eingebung, oder aber darum, weil dieser Glaube
                ihnen am meisten Aehnlichkeit mit jenem heidnischen Glauben zu haben
                dünkte, der bei ihnen die tiefsten Wurzeln geschlagen hat.
                     Obwohl ich glaube, daß auch der Umstand von nicht geringem

                Gewichte war, daß sie erfahren hatten, Christus habe das gemeinsame
                Leben seiner jünger gern gesehen, und daß dieses in den
                Zusammenkünften der echtesten Christen noch heutzutage gebräuchlich
                sei.
                     Aus welchem Grunde dies nun erfolgte, auf alle Fälle sind ihrer nicht
                wenige zu unserem Glauben übergetreten, und mit heiligem Taufwasser

                benetzt worden.
                     Weil aber unter uns Vieren (so Viele waren unser nur noch übrig, da
                zwei dem Schicksale erlegen waren) leider kein Priester war, so mußten
                sie, obwohl in allen Punkten unseres Glaubens wohl unterrichtet,
                gleichwohl auf die Sakramente verzichten, die bei uns nur die Priester
                auszuspenden pflegen. Aber sie begreifen die Natur derselben, und
                wünschen so sehr in deren Besitz zu kommen, daß sie über nichts

                eifriger unter sich Besprechungen halten, als darüber, ob nicht auch ohne
                das Geheiß des christlichen Papstes Einer von ihnen zum Priester
                gewählt werden und so diese Würde erlangen könne. Sie scheinen auch
                diesen Schritt vornehmen zu wollen, doch hatten sie, als ich von ihnen
                schied, zu diesem Amte noch Niemand erwählt gehabt.
                     Auch Diejenigen, die nicht der christlichen Religion anhängen,

                schrecken wenigstens Keinen davon zurück und bereiten Keinem eine
                Anfechtung, der sie angenommen hat. Nur ein Einziger aus unserer
                Gesellschaft wurde während meiner Anwesenheit auf Utopia verhaftet.
                Dieser nämlich, ein Neugetaufter, disputirte, obwohl wir es ihm
                widerriethen, öffentlich mit mehr Eifer als Klugheit über das christliche
                Glaubensbekenntniß, bis er so in Hitze gerathen war, daß er es nicht nur
                über alle andern erhob, sondern die übrigen auch alle als profan

                verdammte und ihre Bekenner als Gottlose und Verruchte verlästerte,
                denen das höllische Feuer ins Gebein fahren solle.
                     Da er zum Volke dergestalt redete, ergriffen sie ihn und klagten ihn,
                nicht der Verächtlichmachung anderer Glaubensbekenntnisse, sondern





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