Page 653 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Die zweite Secte greift nicht weniger bei der Arbeit zu, zieht es aber
vor, in den Ehestand zu treten, dessen trostgewährende Natur sie nicht
verschmähen; zudem meinen sie, sie schuldeten der Natur den Zoll und
dem Vaterlande Kinder. Sie wenden sich von keinem Vergnügen ab,
welches sie nicht von der Arbeit abzieht. Das Fleisch der Vierfüßer ist
ihnen aus dem Grunde willkommen, weil sie sich durch dessen Genuß zu
Arbeiten mannigfachster Art tauglicher erachten.
Diese halten die Utopier für die klügeren, Jene für die Frömmeren.
Wenn Diejenigen, welche die Ehelosigkeit vorziehen und ein rauheres,
hartes Leben einem gemächlichen, sich auf Vernunftgründe stützen
wollten, so würden die Utopier sie auslachen; so aber, da Jene selbst
bekennen, von religiösen Motiven geleitet zu werden, achten sie sie hoch
und verehren sie, denn in keinem Punkte nehmen sie sich so in Acht, wie
darin, daß sie über Religion nicht etwas Unbedachtes verlauten lassen.
So also sind Diejenigen beschaffen, die sie mit einem eigenes Worte
in ihrer Landessprache Buthresken nennen, welches Wort mit
»gottesfürchtig« übersetzt werden darf.
Sie haben Priester von außerordentlicher Frömmigkeit, und deshalb
sind deren nur sehr wenige, denn es sind ihrer nicht mehr als dreizehn in
den einzelnen Städten für die gleiche Anzahl von Gotteshäusern, außer
zu Kriegszeiten, wo sieben von diesen zum Heere abgehen, an deren
Stelle inzwischen ebenso viele nachernannt werden müssen; wenn jene
aber zurückkehren, nehmen sie ihre Amtsstellen wieder ein; die
überzähligen sind einstweilen, d.h. bis sie in die durch Todesfall erledigt
werdenden Plätze einrücken, Amtsgehilfen des Oberpriesters. Einer ist
nämlich der Vorgesetzte aller übrigen Priester.
Sie werden vom Volke gewählt und zwar nach Maßgabe der anderen
Obrigkeiten, in geheimer Abstimmung, um Gunst und Gehässigkeit zu
vermeiden; die Gewählten werden vom Priestercollegium eingeweiht.
Sie haben Alles in geistlichen Angelegenheiten anzuordnen, überwachen
die religiösen Gebräuche, und sind gleichsam Sittenrichter.
Es wird für eine große Schande gehalten, von ihnen wegen eines
unehrenhaften Handels vorgefordert und gerügt zu werden. Wie aber
Ermahnen und Warnen ihres Amtes ist, so ist es Sache des Fürsten oder
der sonstigen Obrigkeiten, die Missethäter zu maßregeln und zu strafen,
ausgenommen, daß die Priester Jenen den antritt zum Heiligthum
untersagen, die sie als frevelhafte Uebelthäter erkannt haben; und es gibt
wohl keine Strafe, vor der sich diese mehr fürchten. Denn es trifft sie
dadurch höchlich Schande und Unehre und sie werden von geheimer
religiöser Furcht gefoltert, ja sie fürchten sogar für ihre körperliche
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