Page 706 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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schlimme Folgen haben müsse. Als Beleg führen sie gerade Rom an, wo
                die Volkstribunen jene Gewalt in Händen hatten und sich trotzdem nicht
                mit einem plebejischen Konsul begnügten, sondern alle beide haben

                wollten, ja die Zensur, die Prätur und alle anderen Staatsämter. Auch das
                genügte ihnen noch nicht, sondern sie begannen in der gleichen Raserei
                die Männer zu vergöttern, die ihnen zur Demütigung des Adels fähig
                erschienen. Daraus entsprang die Macht des Marius und der Untergang
                Roms.
                     In der Tat, wer das Für und Wider erwägt, könnte in Zweifel
                kommen, wen er zum Hüter der Freiheit wählen soll, zumal man nicht

                weiß, welche Menschenklasse in einem Staate schädlicher ist: die,
                welche etwas erwerben will, was sie nicht hat, oder die, welche
                erworbene Vorrechte zu erhalten strebt. Bei tieferer Prüfung wird man
                jedoch zu folgendem Schluß kommen. Entweder man spricht von einer
                Republik, die ein mächtiges Reich werden will, oder von einer, der es
                genügt, sich zu behaupten. Im ersten Falle muß sie alles so machen wie

                Rom, im zweiten kann sie Sparta und Venedig nachahmen, wie und
                weshalb, wird im nächsten Kapitel gezeigt werden. Kehren wir jedoch zu
                der Frage zurück, welche Menschen in einem Staate schädlicher sind,
                die, welche etwas erwerben wollen, oder die, welche das Erworbene zu
                verlieren fürchten.
                     Marcus Menenius und Marcus Fulvius, beide Plebejer, wurden der
                eine zum Diktator, der andre zum Reiterobersten ernannt, um eine

                Verschwörung in Capua gegen Rom aufzudecken. 314 v. Chr. Die
                Namen müssen lauten: Gajus Maenius und Marcus Foslius. Vgl. Livius
                IX, 26. Zugleich erhielten sie vom Volke die Vollmacht, zu untersuchen,
                wer in Rom durch Bestechung und andre ungesetzliche Mittel nach dem
                Konsulat und andern öffentlichen Ämtern strebte. Der Adel, der diese
                Vollmacht des Diktators gegen sich gerichtet glaubte, sprengte in Rom

                aus, nicht die Adligen suchten die Ämter durch Bestechung und
                ungesetzliche Mittel zu erlangen, sondern die Plebejer, die sich nicht auf
                Geburt und Verdienste stützen könnten. Insbesondere klagte er den
                Diktator an. Die Wucht dieser Anklage war so groß, daß Menenius eine
                Volksversammlung berief, sich über die Verleumdungen des Adels
                beklagte, die Diktatur niederlegte und sich dem Urteil des Volkes
                unterwarf.

                     Bei diesem Prozeß, der mit Freisprechung endete, wurde viel darüber
                gestritten, wer ehrgeiziger sei, der, welcher etwas erwerben oder welcher
                Erworbenes behalten wolle; denn beides kann leicht die größten
                Erschütterungen hervorrufen. Meistenteils jedoch werden solche





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