Page 701 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Drittes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                      Welche Ereignisse in Rom zur Einsetzung der Volkstribunen
                         führten, durch die die Republik vervollkommnet wurde.


                Wie alle politischen Schriftsteller beweisen und zahlreiche
                geschichtliche Beispiele bezeugen, muß der Ordner eines Staatswesens
                und der Gesetzgeber davon ausgehen, daß alle Menschen böse sind und
                stets ihrer bösen Gemütsart folgen, sobald sie Gelegenheit dazu haben.

                Bleibt diese Bosheit eine Weile verborgen, so rührt das von einer
                verborgenen Ursache her, die erst erkannt wird, wenn die Bosheit zum
                Ausbruch kommt. Dann enthüllt sie die Zeit, die man die Mutter der
                Wahrheit nennt.
                     So schien in Rom vor der Vertreibung der Tarquinier die größte

                Eintracht zwischen Volk und Senat zu herrschen. Die Adligen schienen
                ihren Hochmut abgelegt zu haben und volksfreundlicher und
                verträglicher auch gegen den Geringsten geworden zu sein. Es war aber
                bloß Verstellung, deren Grund man bei Lebzeiten der Tarquinier nicht
                merkte. Denn nur aus Furcht vor diesen und aus Besorgnis, das Volk
                möchte sich ihnen bei schlechter Behandlung anschließen, benahm der
                Adel sich leutselig gegen das Volk. Als aber die Tarquinier tot waren und

                der Adel nichts mehr zu fürchten hatte, begann er das Gift, das er in
                seiner Brust verborgen hatte, gegen das Volk auszuspeien und es auf alle
                mögliche Weise zu kränken. Das ist ein Beweis für meine obige
                Behauptung, daß die Menschen nur aus Not etwas Gutes tun. Sobald
                ihnen aber freie Wahl bleibt und sie tun können, was sie wollen, gerät
                alles drunter und drüber. Darum sagt man, Hunger und Armut machen

                die Menschen arbeitsam und Gesetze machen sie gut. Wo etwas von
                selbst gut geht, sind Gesetze unnötig, hört aber die gute Gewohnheit auf,
                so werden sie gleich notwendig. Nach dem Tod der Tarquinier, die den
                Adel durch Furcht im Zaum hielten, mußte man also an eine neue
                Einrichtung denken, die das gleiche wie bei Lebzeiten der Tarquinier
                bewirkte. So kam es nach vielen Unruhen, Aufständen und gefährlichen
                Kämpfen zwischen Volk und Adel zur Einsetzung der Volkstribunen, die

                für die Sicherheit des Volkes zu sorgen hatten, und diese schalteten mit
                so großen Vorrechten und solchem Ansehen, daß sie fortan stets die





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