Page 697 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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lebenslänglichen Oberhauptes. Für die Ereignisse in Prato s. Lebenslauf,
1512. Damit fand der Freistaat ein Ende.
Untersuchen wir nun die Staatsordnung Roms und die Umstände,
durch die es zur Vollkommenheit gelangte. Einige politische
Schriftsteller Insbesondere Polybios. Das folgende bis zum fünften
Absatz ist dem 6. Buch seiner »Geschichte der Ausbreitung der
römischen Herrschaft 220-146 v. Chr.«, Kap. III, 5, IV, 6-10, V, 7, 10,
VI, 6f., VII, 6-9, VIII, 1-6, IX, 1-3,10, teils wörtlich entnommen. Der
Streit, ob Machiavelli das griechische Original benutzt hat, d. h. ob er so
viel Griechisch verstand oder eine ungedruckte lateinische Übersetzung
benutzte, ist unentschieden. nehmen drei Regierungsformen an, nämlich
die Monarchie, Aristokratie und Demokratie, für deren eine sich der
Begründer eines Staates je nach der Zweckmäßigkeit entscheiden müsse.
Andre dagegen, und nach der Ansicht vieler die Klügeren, sind der
Ansicht, daß es sechs Regierungsformen gibt, von denen drei
abscheulich, die drei andern an sich zwar gut seien, aber so leicht
ausarteten, daß sie gleichfalls verderblich würden. Die guten sind die
drei oben genannten, die schlechten sind drei andere, die aus ihnen
entstehen. Jede von ihnen ist der, aus der sie entsprungen ist, so ähnlich,
daß der Übergang von der einen zur andern sehr leicht ist. Denn die
Monarchie artet leicht zur Tyrannei, die Aristokratie zur Oligarchie und
die Demokratie zur Zügellosigkeit aus. Führt also der Begründer eines
Staates eine der drei ersten Formen ein, so ist es nur für kurze Zeit. Es
läßt sich durch nichts verhindern, daß sie in ihr Gegenteil umschlägt,
denn Tugend und Laster wohnen hier dicht beieinander.
Diese verschiedenen Regierungsformen sind durch Zufall entstanden.
Im Anfang der Welt, als die Menschen noch spärlich waren, lebten sie
zerstreut wie die Tiere. Später, als ihr Geschlecht sich vermehrte,
schlossen sie sich zusammen und begannen, um sich besser verteidigen
zu können, den Stärksten und Tapfersten unter ihnen zu achten, machten
ihn zu ihrem Oberhaupt und gehorchten ihm. Daraus entsprang der
Begriff des Edlen und Guten im Gegensatz zum Schädlichen und Bösen.
Denn man sah, daß aus dem Unrecht, das einer seinem Wohltäter
zufügte, Haß und Mitleid entsprang, daß die Undankbaren getadelt, die
Dankbaren aber geehrt wurden; auch sagte sich jeder, daß ihm die
gleiche Unbill selbst widerfahren könnte. Um ähnlichen Übeln
vorzubeugen, entschloß man sich, Gesetze zu schaffen und ihre
Übertretung zu strafen. Hieraus entstand der Begriff der Gerechtigkeit.
Wie Ellinger (l. c.) betont, entspringt bei Machiavelli der
Sittlichkeitsbegriff erst aus dem Gesetz, bei seinem Vorbild Polybios
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