Page 710 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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daraus entsteht. Willst du daher ein zahlreiches, waffentüchtiges Volk
                haben, um ein großes Reich zu begründen, so kannst du es nicht nach
                deinem Willen lenken. Hältst du es aber klein und unkriegerisch, um es

                leiten zu können, und es macht dann eine Eroberung, so kannst du sie
                nicht behaupten, oder das Volk wird so schwach, daß du jedem Angreifer
                zur Beute fällst. Daher muß man stets das erwählen, was den kleineren
                Nachteil bringt, und diesen Beschluß für den besten halten, denn es gibt
                nichts, was nicht seine Schattenseite hat.
                     Rom konnte also wie Sparta einen Fürsten auf Lebenszeit, einen
                kleinen Senat wählen, aber es konnte nicht wie Sparta die Zahl seiner

                Bürger beschränken, wenn es ein großes Reich werden wollte;
                Anlehnung an Polybios VI, 50. denn dann hätte ihm auch ein König auf
                Lebenszeit und ein kleiner Senat für die innere Eintracht nichts genützt.
                Wer also eine Republik neu einrichten will, muß zuvor prüfen, ob sie wie
                Rom an Ausdehnung und Macht zunehmen, oder ob sie in engen
                Grenzen bleiben soll. Für diesen Gedankengang vgl. Polybios VI, 50,

                und Thukydides I, 71, sowie Buch I, Kap. 5 dieses Werkes. Im ersten
                Fall muß er sich Rom zum Muster nehmen und sich Aufstände und
                allgemeine Zwistigkeiten gefallen lassen; denn ohne große
                Menschenzahl und Kriegstüchtigkeit kann ein Staat nie wachsen noch,
                wenn er wächst, sich behaupten. Im zweiten Fall kann er sich nach
                Sparta und Venedig richten; da aber für solche Republiken die
                Vergrößerung Gift ist, muß der Gesetzgeber auf alle Weise das Erobern

                verbieten, weil Eroberungen eine an sich schwache Republik völlig
                zugrunde richten, wie man an Sparta und Venedig sieht. Denn nachdem
                Sparta fast ganz Griechenland unterworfen hatte, zeigte es bei einem
                ganz unbedeutenden Vorfall, auf wie schwachen Füßen es stand. Nach
                dem Aufstand Thebens unter Pelopidas fielen auch alle andern Städte ab,
                und die Republik ging völlig zugrunde. Ähnlich erging es Venedig, das

                einen großen Teil Italiens, und zwar meist nicht durch Krieg, sondern
                durch Geld und Klugheit erworben hatte; als es aber eine Probe seiner
                Kraft ablegen sollte, verlor es alles in einer Schlacht. S. Lebenslauf,
                1509.
                     Um eine Republik von langer Dauer zu gründen, dürfte es wohl am
                besten sein, ihr eine Verfassung wie Sparta oder Venedig zu geben, sie an
                einem festen Ort anzulegen und sie so stark zu machen, daß es keinem

                einfällt, sie auf einen Schlag zu erobern. Andrerseits darf man sie aber
                auch nicht so groß machen, daß sie ihren Nachbarn bedrohlich wird;
                dann kann dieser Staat sich lange seines Daseins erfreuen. Denn aus zwei
                Gründen bekriegt man einen Staat, einmal, um sein Herr zu werden, und





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