Page 715 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Achtes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
So nützlich die Anklagen in einer Republik sind, so verderblich sind
die Verleumdungen.
Als Furius Camillus durch seine Tapferkeit Rom von den Galliern befreit
hatte, räumten ihm alle Bürger den ersten Rang ein, ohne daß sie sich an
Ansehen und Rang etwas zu vergeben glaubten. Nur Manlius Capitolinus
konnte es nicht ertragen, daß jenem so viel Ehre und Ruhm zuteil ward.
Er glaubte sich durch die Rettung des Kapitols um das Heil Roms ebenso
verdient gemacht zu haben wie Camillus, und meinte, ihm auch sonst an
kriegerischem Ruhm nicht nachzustehen. Voller Neid konnte er sich über
den Ruhm des Camillus nicht beruhigen, und da er im Senat keine
Zwietracht säen konnte, wandte er sich an das Volk und streute
verschiedene schlimme Gerüchte unter ihm aus. Unter anderm
behauptete er, das zur Abfindung der Gallier gesammelte, aber nicht
abgelieferte Geld sei von einzelnen Bürgern zurückbehalten worden.
Würde es herausgegeben, so könnte man es zum öffentlichen Nutzen
verwenden, indem man die Abgaben des Volkes erleichterte oder seine
Privatschulden bezahlte. Solche Reden machten auf das Volk derartigen
Eindruck, daß es sich zusammenrottete und zahlreiche Ausschreitungen
in der Stadt beging. Da dies dem Senat mißfiel und die Sache ihm
wichtig und gefährlich erschien, ernannte er einen Diktator, Vgl. Livius
VI, 11 ff. um den Fall zu untersuchen und die Wut des Manlius zu
zügeln. Der Diktator ließ ihn sogleich vorladen, und beide traten
öffentlich einander gegenüber, der Diktator inmitten des Adels, Manlius
inmitten des Volkes. Manlius wurde aufgefordert, zu sagen, bei wem sich
der fragliche Schatz befände; denn dies zu erfahren wäre der Senat
ebenso begierig wie das Volk. Manlius ging auf die Frage nicht ein,
sondern antwortete ausweichend, er brauchte es ihnen nicht zu sagen, da
sie es ja wüßten; worauf ihn der Diktator in den Kerker werfen ließ.
Diese Geschichte zeigt, wie verabscheuungswürdig in freien Städten
und in jedem andern Staat die Verleumdungen sind und daß man zu ihrer
Unterdrückung kein Mittel scheuen darf. Dazu aber ist nichts geeigneter,
als den Anklagen weiten Spielraum zu geben, denn so nützlich diese in
einer Republik sind, so schädlich sind die Verleumdungen. Zwischen
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