Page 716 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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beiden besteht auch noch der Unterschied, daß Verleumdungen nicht
durch Zeugnisse und andre Rechtsmittel bewiesen werden müssen, so
daß jeder von jedem verleumdet werden kann. Nicht aber kann jeder
angeklagt werden, denn Anklagen bedürfen vollgültiger Zeugen und
beweiskräftiger Tatsachen. Angeklagt wird bei den Behörden, beim Volk,
beim Rat, verleumdet auf den Plätzen und in den Hallen. Die
Verleumdung ist da am häufigsten, wo die Anklagen am seltensten sind
und am wenigsten für ihre Annahme gesorgt ist. Deshalb muß der
Gesetzgeber einer Republik Einrichtungen treffen, daß man jeden Bürger
ohne Furcht und Scheu anklagen kann. Ist dies aber geschehen und wird
gut darauf gehalten, so müssen die Verleumder streng bestraft werden.
Sie können sich dann über ihre Bestrafung nicht beklagen, da ihnen ja
die Anklage gegen den heimlich Verleumdeten freisteht. Wo dies aber
nicht gut eingerichtet ist, entsteht immer große Unordnung, denn die
Verleumdungen erbittern, aber sie bessern nicht, und die Erbitterten
sinnen auf Vergeltung, da sie die üble Nachrede eher hassen als fürchten.
Rom war in dieser Hinsicht, wie gesagt, gut eingerichtet, unsre Stadt
Florenz aber stets schlecht. Auch hatte die in Rom getroffene
Einrichtung viele gute, die in Florenz getroffene viele schlimme
Wirkungen. Wenn man die Geschichte von Florenz liest, wird man
sehen, wieviel Verleumdungen jederzeit gegen die Bürger verbreitet
wurden, die mit wichtigen Staatsgeschäften betraut waren. Von dem
einen hieß es, er hätte Staatsgelder unterschlagen, von dem andern, er
hätte ein Unternehmen nicht durchgeführt, weil er bestochen worden sei;
ein dritter hätte aus Ehrgeiz den und den Nachteil herbeigeführt. Hieraus
entsprang allerseits Haß, vom Haß kam es zu Zwistigkeiten, von da zu
Parteiungen und zum Untergang des Staates. Hätte in Florenz eine
Einrichtung zur Anklage der Bürger und zur Bestrafung der Verleumder
bestanden, so wären zahllose Unruhen vermieden worden. Denn
verurteilt oder freigesprochen, hätten solche Bürger der Stadt nicht
schaden können, und es wären weit weniger angeklagt als verleumdet
worden, denn, wie gesagt, kann man nicht jeden so leicht anklagen wie
verleumden.
Unter anderm benutzten auch manche, die sich emporschwingen
wollten, die Verleumdungen mit Erfolg gegen einflußreiche Bürger, die
sich ihren Gelüsten widersetzten. Sie ergriffen die Partei des Volkes,
bestärkten es in seiner Abneigung gegen jene und machten es sich so
zum Freunde. Beispiele lassen sich zur Genüge anführen; ich will mich
mit einem begnügen. Das Florentiner Heer belagerte Lucca (1430) unter
dem Befehl des Kommissars Messer Giovanni Guicciardini. Infolge
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