Page 709 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 709

Zaum und verwandte sie zu nichts, wodurch sie Ansehen gewinnen
                konnten. Überdies war der spätere Zuzug nicht so häufig und so stark,
                daß ein Mißverhältnis zwischen Regierenden und Regierten entstanden

                wäre, denn die Anzahl der Edelleute ist ebenso groß oder noch größer als
                die des Volkes. So konnte Venedig sich seine Verfassung geben und in
                Eintracht fortbestehen.
                     Sparta, das, wie gesagt, von einem König und einem kleinen Senat
                regiert wurde, konnte sich so lange erhalten, weil die Einwohnerzahl
                klein war, Fremde nicht aufgenommen und Lykurgs Gesetze in Ehren
                gehalten wurden. Dadurch fielen alle Ursachen zu Unruhen fort, und der

                Staat konnte lange in Frieden fortbestehen. Denn Lykurg hatte Sparta
                durch seine Gesetze mehr Gleichheit im Besitz als im Range gegeben.
                Bei dieser gleichmäßigen Armut war das Volk weniger ehrgeizig, zumal
                es von den wenigen Ämtern stets ferngehalten wurde, und die Adligen
                erregten bei ihm nie durch schlechte Behandlung den Wunsch, jene
                Ämter selbst zu bekleiden. Dies ging von den spartanischen Königen

                aus, die selbst inmitten des Adels standen und kein besseres Mittel zur
                Behauptung ihrer Würde hatten, als das Volk vor jeder Unbill zu
                schützen. Auf diese Weise fürchtete und begehrte das Volk die
                Herrschaft nicht, und da es sie weder hatte noch fürchtete, fiel der Zwist
                zwischen Adel und Volk fort, mithin auch der Anlaß zu Unruhen, und so
                konnten die Spartaner lange in Eintracht leben. Die zwei Hauptursachen
                dieser Eintracht aber waren: erstens, daß sie bei der geringen

                Einwohnerzahl von wenigen regiert werden konnten, und zweitens, daß
                sie keine Fremden in ihren Staat aufnahmen, so daß keine
                Sittenverderbnis einriß, noch die Zahl der Bürger so anwuchs, daß den
                wenigen Regierenden die Last der Geschäfte zu schwer ward.
                     Zieht man dies alles in Betracht, so ergibt sich, daß die Gesetzgeber
                Roms, wenn Rom so ruhig bleiben sollte wie die beiden genannten

                Republiken, eins von beiden tun mußten: sie durften entweder das Volk
                nicht zum Kriegsdienst verwenden, wie die Venezianer, oder den
                Fremden keinen Einlaß gestatten, wie die Spartaner. Sie aber taten
                beides; das gab dem Volke Stärke und Wachstum und zahllose Anlässe
                zu Unruhen. Wäre aber der römische Staat zu größerer Ruhe gelangt, so
                wäre der Nachteil entstanden, daß er schwächer geworden wäre; denn
                dann wäre ihm ja der Weg zu seiner künftigen Größe verlegt worden.

                Wollte Rom also die Anlässe zu Unruhen beseitigen, so nahm es sich
                auch die Mittel zu seiner Vergrößerung.
                     In allen menschlichen Dingen zeigt sich bei genauer Prüfung das
                gleiche: nie kann man einen Übelstand beseitigen, ohne daß ein anderer





                                                          708
   704   705   706   707   708   709   710   711   712   713   714